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© dpa

Münchner Philharmoniker: Eine Frage des Takts

Provinz-Posse: Die Ära Christian Thielemann bei den Münchner Philharmonikern endet überraschend 2010/11.

Jetzt ist es also amtlich: In einer nicht-öffentlichen Sitzung hat die Vollversammlung des Münchner Stadtrats am Mittwoch beschlossen, Christian Thielemanns Vertrag als Generalmusikdirektor der Münchner Philharmoniker über die Saison 2010/11 hinaus nicht zu verlängern. Das Ende einer seit Monaten schwelenden Machtprobe – und eines reichlich peinlichen Intrigantenstadls. Die Politik jedenfalls in Gestalt des bekennend amusikalischen Münchner Oberbürgermeisters Christian Ude (SPD) und seines generell leidenschaftslosen Kulturreferenten Hans-Georg Küppers scheint zu glauben, dass sich das Label „Münchner Philharmoniker“ auf dem Musikmarkt wie warme Semmeln verkauft.

Kern des Konflikts ist eine Klausel in der neuen Geschäftsordnung und also in Thielemanns Anschlussvertrag (der 50- Jährige ist seit 2004 im Amt), die besagt, dass das Letztentscheidungsrecht in Sachen Gastdirigenten zukünftig ausschließlich bei Paul Müller liegen soll, dem philharmonischen Intendanten. Bisher besaß Thielemann in dieser Frage ein Vetorecht, das ihm vor allem im deutschen Fach (Beethoven, Brahms, Bruckner, Strauss) eine klangliche Hoheit zusicherte. Warum sollte er von diesem Recht zurücktreten? Auch wenn das Weltdorf München es nicht gerne hört: Die Münchner Philharmoniker mögen eines der bestbezahlten und am besten zahlenden Orchester der Republik sein – in ihrer spielerischen Qualität und Souveränität sind sie nach wie vor entwicklungsfähig und keineswegs mit den Berlinern oder den Wienern zu vergleichen.

Eine solche Klausel hat Folgen. Thielemann dirigiert in München (und auf Tournee) pro Saison zwischen 40 und 45 Konzerte. Das heißt: Es bleiben etwa 60 anderweitig zu besetzende Abende übrig. Das wiederum bedeutet: Der Intendant erhält ästhetisch und von der Repertoirewahl her plötzlich mehr Gewicht als der Generalmusikdirektor. Dies kommt einer Entmachtung Thielemanns gleich – selbst wenn der so bedächtige, stets leise sprechende Paul Müller mit seiner Sozialisation in Frankfurt/Oder, Hamburg und bei den Bamberger Symphonikern nicht eben der Inbegriff eines selbstherrlich auftrumpfenden Orchestermanagers sein dürfte.

Überhaupt: Man wundert sich. Wo bleibt der sprichwörtliche Münchner Charme, wo der psychologische Takt? Im Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ vom Mittwoch betont Thielemann, dass er in der Gastdirigentenfrage zu Zugeständnissen und einer weiteren Öffnung des Kernrepertoires bereit gewesen wäre: „So rigide wurde das ja nie gehandhabt.“ Eine verbindliche Rücksprache seitens des Intendanten in Programmfragen würde ihm genügen, so Thielemann.

Dass man in München auf solche Signale nicht hören wollte, schürt den Verdacht, dass gewisse Kreise, allen voran die drei noch bis Ende Juli (!) amtierenden Orchestervorstände, sich so einer lästig gewordenen Personalie entledigen wollten. Die Gründe dafür bleiben diffus. Vielleicht gab es persönliche Differenzen, vielleicht hat den Münchnern unterm wachsenden ökonomischen Druck plötzlich ihr konservatives Image nicht mehr behagt (was dumm wäre). Thielemann ist sicher kein einfacher Charakter, musikalisch aber hat er es verstanden, mit dem Orchester mindestens da anzuknüpfen, wo der Ruhm und die Aura Sergiu Celibidaches 1996 endeten (die Verpflichtung James Levines von 1999 bis 2004 blieb eher Intermezzo). Er hat CDs eingespielt, ist vor dem Papst aufgetreten, und konnte den Ehrgeiz fürs Musiktheater wecken: Was nun aus der Kooperation mit dem Festspielhaus Baden-Baden wird, die 2013 in einem neuen „Ring“ gipfeln sollte, steht in den Sternen. Wohlgemerkt: Auch hier hat man in erster Linie den Bayreuth gestählten Thielemann umgarnt – und nicht die opernunerfahrenen Münchner Philharmoniker. Ähnliches gilt für lukrative Tourneen nach Japan oder Korea.

Blickt man in die Gastdirigentenliste der Spielzeit 2009/10, entdeckt man attraktive Namen: von Valery Gergiev über Eivind Gullberg Jensen und Paavo Järvi bis Thomas Hengelbrock und Johannes Kalitzke. Paul Müller, dem Orchester und den Kommunalpolitikern mag wichtiger sein, wer hier alles nicht steht. Und noch wichtiger ist offenbar, was der Herr Generalmusikdirektor nebenher so treibt. Wagner dirigieren auf dem Grünen Hügel beispielsweise oder einen Beethoven-Zyklus mit den Wiener Philharmonikern aufnehmen. Neid und Eifersucht waren in der Kunst schon immer große Themen.

Die Dresdner Staatskapelle, heißt es, würde Thielemann heftige Avancen machen. Dort legt der wenig glückhafte Fabio Luisi 2012 den Stab nieder. Das passt doch. Auf der Suche nach einem jüngeren und billigeren GMD jedenfalls hat die Stadt München jetzt zwei Jahre Zeit, sich zu schämen.

Christine Lemke-Matwey

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