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Kultur: "Museum der Unerhörten Dinge": Parasit und Wirt für 80 Mark

Fragen nach Original oder Fälschung zerstreut Roland Albrecht mit einem charmanten Lächeln. Wo sich Kunstexperten jüngst mit "wissenschaftlicher Meinungsäußerung" um zweifelhafte Expertisen winden, versetzt der Direktor des "Museums der Unerhörten Dinge" ungläubige Besucher in anregende Ungewissheit.

Fragen nach Original oder Fälschung zerstreut Roland Albrecht mit einem charmanten Lächeln. Wo sich Kunstexperten jüngst mit "wissenschaftlicher Meinungsäußerung" um zweifelhafte Expertisen winden, versetzt der Direktor des "Museums der Unerhörten Dinge" ungläubige Besucher in anregende Ungewissheit. Zum Beispiel über das Aussterben der Dinosaurier. Während die prähistorischen Riesenechsen heute reanimiert zu Medienstars mutieren, dreht Albrecht die Zeit zurück und betreibt heitere Grundlagenforschung.

Für sein Museum entdeckte Albrecht das fossile Exemplar einer "Innerschnecke" oder mit den Worten des Künstlers: "Die Dinge finden mich, und dann erzählen sie mir ihre Geschichte - manche plappern regelrecht drauf los." So auch die Innerschnecke. Saurier produzierten nämlich so viel Magensaft, dass sich in ihren riesigen Mägen Algen bildeten. Der nützliche Parasit der Gattung "Frühe wassersaure Schnecke" vertilgte die Algen, so dass die Saurier weiterhin artgerechte Nahrung fraßen. Mit dem Aussterben der Innerschnecke fühlten sich die Saurier vom Algenwucher gesättigt, vergaßen zu essen und starben aus. Die Schicksalssymbiose umrankt Albrecht noch mit allerlei Fakten zum Thema Parasit und Wirt, und im Museumsshop ist für 80 Mark ein Abguss in Sterling-Silber erhältlich.

Wer die Photosynthese auch nur annähernd verstanden hat, hegt vielleicht seine Zweifel, doch die weist Albrecht mit freundlicher Chuzpe von sich. Denn "wer anhand der Fakten entscheiden will, dem werden diese Fakten ihre Hand nicht bieten", schrieb schon Walter Benjamin. Roland Albrecht reicht unscheinbaren Dingen den kleinen Finger des Glaubens, und wer seinen Erzählungen durch das 15 Quadratmeter kleine Museum folgt, dem eröffnet sich ein sehr spezielles Kunsterlebnis. Dichtung und Wahrheit streut Albrecht um die Fundstücke wie Eiswürfel auf eine winterliche Straße. Man schlingert zunächst, doch wer auf ihr zu stehen lernt, der lernt auch das Staunen über den "Dichter-Stein", auf dem Francesco Petrarca 1336 den Alpinismus begründete oder das Rentier, das in die spanische Sonne entfloh.

Albrecht ist Literat und Fotograf, Sammler und Forscher, Archivar und Museumsdirektor - ein Wolpertinger in der Kunstlandschaft. 1950 im bayrischen Memmingen geboren, gibt er - neben diversen Ausbildungen - als Beruf passioniertes Reisen an. Auf diesen Erkundungen hält Albrecht "Über-Sonnen" sowjetischer Fenster in seriellen Fotografien fest, von einer Alpenüberquerung berichtet das Buch "Die einzige Zukunft liegt in der Kuhzunft" und im Rahmen der charakterlichen Hybridforschung entstanden 1996 seine "Wolfsschafe".

"Es war einmal..." könnten die den Objekten abgelauschten Geschichten beginnen; aber auch ein Text über Roland Albrecht und das Märchen des Kunst-Erzählens. Was als frühkindliche Sammelleidenschaft begann - mit der kleinen Schatzkiste vom Großvater - entspinnt sich als "Roter Faden, der durchs Leben führt" zum "Museum der Unerhörten Dinge". Ein Modell des "Roten Fadens" kostet 35 Mark, inklusive Originalpulver und der Schilderung, wie der Marquis de Maillet 1796 den Faden extrahierte und warum Pulver übrig blieb.

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