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Mit Luther in den Krieg. Kriegsanleihe-Plakat „Und wenn die Welt voll Teufel wär", Farblithografie, um 1917.

© Museum Weißenfels – Schloss Neu-Augustusburg

Museum Nikolaikirche Berlin: "Sankt Luther": Her mit dem Heiligenschein

Wenn Zahnstocher Wunder tun: Das Stadtmuseum Berlin beleuchtet mit „Sankt Luther“ den Kult um den Reformator.

Nein, in Berlin war Luther nie. Was für das Stadtmuseum aber noch lange kein Grund ist, nicht auch beim deutschlandweiten Rausch der Reformationsausstellungen mitzumischen. Immerhin war Preußen später Zentrum des deutschen Protestantismus. Aber nicht um Luthers Wirken und Person, sondern um seine Inszenierung geht es hier. „Sankt Luther“ zeigt ein Stück verkehrter Welt: Da führt ein Reformator aufklärerische Reden gegen die ins Kraut schießende katholische Reliquienverehrung und nennt Knochen, Grabtücher und Kreuzsplitter „ein tod ding, das niemand heiligen kan“. Und dann haben seine Anhänger nichts Besseres zu tun, als die weltlichen Hinterlassenschaften des glühend Verehrten selbst wie Devotionalien zu behandeln.

Das kleinste Stück der Schau, die 500 Jahre Luther-Kult nur exemplarisch umreißt, erklärt den Dreisprung aus Verehrung, Verklärung und Verkehrung am besten. In der Sakristei der Nikolaikirche prangt hinter Glas ein Fetzen Stoff, fein säuberlich auf Papier genäht. Er gehörte einst zur Merseburger Luther-Kasel. So heißt ein in fürstlich-violettem Seidendamast gewebtes Messgewand, das der Reformator 1545 bei der Weihe Georgs III. von Anhalt zum ersten evangelischen Bischof von Merseburg getragen hat. Der danebenhängende, heute tipptopp restaurierte Mantel hat – wie auf einem Foto zu überprüfen – 1957 noch völlig zerfranst ausgesehen. Er wurde in sorgfältig zertifizierte Stückchen zerlegt und als „Luther-Reliquie“ unter die Gläubigen gebracht. So erzählt der Stoff von der unbezähmbaren Schaulust der Menschen und dem sinnlichen Wunsch nach Berührung des Idols, die Ausdruck einer gerade im säkularen Berlin heute kaum mehr vorstellbaren Volksfrömmigkeit waren.

Heiliger Reformator. Nach V. H. Schnorr von Carolsfeld: Gedenkblatt zum 350. Geburtstag Martin Luthers, 1835, Radierung, koloriert.
Heiliger Reformator. Nach V. H. Schnorr von Carolsfeld: Gedenkblatt zum 350. Geburtstag Martin Luthers, 1835, Radierung, koloriert.

© Stadtmuseum Berlin | Foto: Phil Dera

Das größte Ausstellungstück sei jedoch die Nikolaikirche selbst, betont Kurator Albrecht Henkys und nennt den ältesten städtischen Sakralbau ein Reformationsdenkmal. Nach dem ersten, am 1. November 1539 in der Spandauer Nikolaikirche für den Brandenburger Adel zelebrierten evangelischen Gottesdienst in der Mark wurde in Berlin einen Tag später die Reformation für Räte und Bürger eingeführt. Hermann Knackfuß hat den Gottesdienst 1886 auf einem Gemälde in funkelndes Kerzenlicht getaucht. In der Stadt entwickelte sich ein orthodoxes Luthertum, das die Bildwerke des Kirchenraums geprägt hat. Ergänzend zur „Sankt Luther“-Ausstellung ist ein kommentierter Rundgang zu 14 teils hochdramatischen Grabgemälden aus der Umbruchzeit zwischen 1526 und 1613 zu sehen. Sie dokumentieren die Entwicklung vom mittelalterlichen Andachts- zum lutherischen Lehrbild, das die neuen Glaubensinhalte manchmal mit fast Comic-haften Mitteln darstellt.

Der Splitter vom Coburger Luther-Bett sollte Zahnweh kurieren

Farbenfroh ist auch die Hausbibel des Perlenstickers Hans Plock, ein Paradestück eigenwilliger Luther-Begeisterung von 1541. Plock kommentiert die Bibel des Reformators, ergänzt sie um persönliche Tagebucheinträge und collagiert sie mit Zeichnungen, darunter die seines Freundes Matthias Grünewald. Das gottesfürchtige, an einer Digitalstation durchblätterbare Poesiealbum des Schwärmers wird von allerlei Kuriosa flankiert. Künstler zeigen den Reformator mit hehrem Heiligenschein oder verwandeln ihn, wie 1846 in St. Michaelis zu Jena geschehen, in eine monumentale Altarfigur.

Beim Zitieren saftiger Geschichten wagt sich das Stadtmuseum ins Reich der Legenden vor. Sehr zweifelhaft, dass der vermeintliche Splitter vom Coburger Luther-Bett, in dem er 1530 auf der gleichnamigen Festung geruht hat, von dort stammt. Die Wundergläubigen vergangener Jahrhunderte, die auf die Zahnweh kurierende Kraft der „Luther-Zahnstocher“ hofften, haben seinerzeit nie Zweifel an der Wirksamkeit gehegt.

Die wundertätigen Splitter von Coburg. Die Postkarte mit Fritz Hofmanns Luther-Bett-Gedicht stammt von 1860.
Die wundertätigen Splitter von Coburg. Die Postkarte mit Fritz Hofmanns Luther-Bett-Gedicht stammt von 1860.

© Initiative Stadtmuseum Coburg e.V.

Ungleich ernster ist dann die politische Instrumentalisierung des protestantischen Helden. Ein Plakat von 1917, dem 400. Jahrestag der Reformation, deutet Luthers trutzigen Choral „Ein feste Burg ist unser Gott“ kurzerhand zum vaterländischen Kampfgesang um. Da lobt man sich urplötzlich die harmlosen Luther-Nudeln und Spielzeugfiguren aus dem diesjährigen Merchandising-Shop der Reformation.

Museum Nikolaikirche, Nikolaikirchplatz, Mitte, "Sankt Luther" bis 28. Mai, Rundgang Kunstwerke bis 10. September, tgl. 10–18 Uhr

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