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Kultur: Musik gegen Seelenkrisen Gawrilow und das Pannon Philharmonic Orchestra

Ungarn ist nicht nur Budapest, das weiß man, und doch schadet es nicht, von Zeit zu Zeit daran erinnert zu werden – wie jetzt vom Pannon Philharmonic Orchestra aus Pécs. Die südungarische Stadt kann die erste Universität und das älteste Bistum des Landes vorweisen, 2010 war sie europäische Kulturhauptstadt.

Ungarn ist nicht nur Budapest, das weiß man, und doch schadet es nicht, von Zeit zu Zeit daran erinnert zu werden – wie jetzt vom Pannon Philharmonic Orchestra aus Pécs. Die südungarische Stadt kann die erste Universität und das älteste Bistum des Landes vorweisen, 2010 war sie europäische Kulturhauptstadt. Was dem Orchester, das seit 200 Jahren besteht, einen neuen Konzertsaal bescherte, das Kodály Centre. Jetzt gastierte das Ensemble in der Philharmonie, dem „wichtigsten Konzertsaal des Kontinents“, wie es im Programmheft heißt, auch wenn dort dann der Kammermusiksaal abgebildet ist. Irgendwie charmant.

Das Lamento darüber, dass von Glinka immer nur die „Ruslan und Ludmilla“Ouvertüre gespielt wird, soll hier einmal nicht angestimmt werden. Denn die Musiker und Dirigent Tibor Bogànyi sorgen für einen tollen Abend - und Pianist Andrei Gawrilow für einen spektakulären Auftritt. Die Biografie des Russen ist legendär: Zu Sowjetzeiten stand er unter Hausarrest und wurde zeitweise zwangspsychiatrisiert, später folgte eine Schaffenskrise, die ihn nötigte, ein Konzert in Wien abzubrechen und für Jahre unterzutauchen. Nun spielt er ausgerechnet Rachmaninows zweites Klavierkonzert: Auch der Komponist hatte eine Depression zu überwinden, das Ergebnis war eben jenes Konzert.

Etwas Kauziges hat Gawrilows Spiel nach wie vor, aber es ist auch genialisch, voll heiligen Ernstes, professoral, ohne je blutleer zu wirken. Bis in die feinsten Verästelungen scheint er der Musik folgen zu wollen, krümmt sich in die Tasten, betet zu Beginn des zweiten Satzes, dass die Spannung nicht brechen möge, scheint physisch mitzuleiden bei jeder Regung des Orchesters, spielt wie hinter einem Gazevorhang und malt dann wieder das populäre Hauptthema des dritten Satzes breit und süffig aus. Ein musikalisches Chamäleon, ein Tastentiger, ein Berserker.

Das hohe Niveau bleibt nach der Pause erhalten, in den vier Sätzen von RimskyKorsakows symphonischer Suite „Scheherazade“. Was vor allem an den herrlich homogenen, feingliedrig warmen Streichern liegt – aber nicht nur an ihnen. In kaum einem anderen Werk des Repertoires kommen so viele Instrumente solistisch zum Einsatz. Rimsky-Korsakow nutzt sie, um Figuren zu charakterisieren und die orientalischen Märchen erzählen zu können. Das hat den Vorteil, dass sich das Können jedes Musikers im Einzelnen studieren lässt, bevor alles zum finalen Rausch anhebt und in einem einzigen, über viele Takte gehaltenen Ton von Scheherazades Solovioline ausklingt. Udo Badelt

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