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Kultur: Musik in Berlin: Stromschnellenmusik

Das Leben, seien wir ehrlich, ist kein langer, ruhiger Fluss. Man weiß nie, was einen erwartet.

Das Leben, seien wir ehrlich, ist kein langer, ruhiger Fluss. Man weiß nie, was einen erwartet. Jede Biegung birgt eine Überraschung, jedes Fahrwasser Stromschnellen, jedes Finale einen möglichen Trugschluss.

Wenn das Leben ein Konzert wäre, dann gewiss eines der "Akademie für Alte Musik". Ihr ästhetisches Elixier ist das Staunen. Händels Concerto grosso c-moll zum Beispiel: ein zarter, hauchfeiner Einstieg, ein Anschwellen bis zum Aufschrei, danach die schüchterne Replik der 2. Geigen und Bratschen - "Klangrede" ist da ein viel zu schwacher Ausdruck. Vom beinhart repetitierten Schicksalsschlag bis zur schmerzbetörten Elegie, von der Koketterie der Tanzfiguren in Jean-Féry Rebels "Les charactères de la danse" bis zum verschreckten Federvieh in "La Poule", dem ersten Satz von Jean-Philippe Rameaus g-Moll-Konzert: Die Musiker spielen so, als gerate jeder Ton über den vorhergehenden jäh ins Staunen. Ein anarchisches Moment, das jede Routine historischer Aufführungspraxis im Keim erstickt.

Selten sieht man auf einem Podium knapp zwei Dutzend Instrumentalisten, deren musikalische Temperamente unentwegt miteinander flirten. Das Geheimnis der "Akademie" ist nicht zuletzt ihre ansteckende Lust am Spiel, ihre Kombination von Übermut und Präzision. Auf der Midem 2002 erhielten sie dafür den Cannes Classical Award.

Diesmal kommt zum Theater der Affekte, dessen homogen-geschmeidiger Grundklang vor allem bei Jean-Marie Leclairs Violinkonzert C-Dur auch Rauheit, extreme Tempi oder scharfe Akzente nicht scheut, Andrew Manze hinzu. Als die "Akademie für Alte Musik" in Großbritannien gastierte, schrieb die "London Times", das einzige einheimische Ensemble, das den deutschen Gästen das Wasser reichen könne, sei Manzes "Academy of Ancient Music". Und nun leitet der britische Barockgeiger die Berliner Akademisten durch ein Programm mit Tanzmusik und Concerti aus dem 17. und 18. Jahrhundert. Manze spielt auf, macht an, wirbelt und tänzelt, ziert sich und legt sich ins Zeug - ein Animateur mit Herz und con brio. Wenn das Leben kein ruhiger Fluss ist, braucht auch der Lotse ein unerschrockenes Gemüt.

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