zum Hauptinhalt
Wolfgang Koch in der Partie des Gefangenen bei Dallapiccolas „Il prigioniero“.

© Foto: Bettina Stöß

Musikfest Berlin: Die dunkle Seite der Hoffnung

Ein politischer Abend: Die Berliner Philharmoniker unter Kirill Petrenko spielen Xenakis, Zimmermann - und Luigi Dallapiccolas Kurzoper „Il prigioniero“.

Sehr leise rühren sich am Ende die Tamtams, die Geigen verlieren sich in der Höhe, der Gong schwingt nach – und der todgeweihte Gefangene fragt nach der Freiheit, ein letztes Mal. Es ist still in der Philharmonie nach Luigi Dallapiccolas konzertant aufgeführter Kurz-Oper „Il prigioniero“, bis Kirill Petrenko die Arme sinken lässt.

Das programmatische, plastische Zwölfton-Werk von 1950, nicht häufig gespielt schon wegen der Riesenzahl der über 170 Mitwirkenden, ist in der Zeit der spanischen Inquisition im 16. Jahrhundert und des Aufstands der Niederländer angesiedelt.

Zu den Protagonisten – das Folteropfer im Kerker (Wolfgang Koch als Zerrissener zwischen Hoffnung und Qual), dessen eindringlich klagende Mutter (Ekaterina Semenchuk, mit bezwingenden Schmerzensrufen) und der hinterhältige Kerkermeister mit Fake News von einer vermeintlich bevorstehenden Befreiung (Wolfgang Ablinger-Sperrhacke als betörend perfider Intigrant) - gesellt sich der Rundfunkchor mit ehern vorgetragenen lateinischen Chorälen. Autorität gebieten, als sei es das Natürlichste der Welt, das kann der wie immer vorzügliche Rundfunkchor unter Leitung von Gijs Leenaars.

Die fromme Lüge: Dallapiccola prangert nicht nur das Unrecht an, einen seine Kritiker brutal zum Schweigen bringenden Totalitarismus, wie er bis heute vielfach in der Welt existiert. Sondern auch die Ungerührtheit der Kirche, die einfach immer nur weiter betet und zur Mittäterin wird.  Ob der gläubige Katholik Dallapiccola dafür über seinen Schatten springen musste?

Angefangen hat es mit dem synkopisch scharfen Todesmotiv, martialischen Schwerthieben gleich: Die Berliner Philharmoniker unter Petrenko setzen jedoch nicht auf das mitunter Plakative der Partitur, sondern auf ihr utopisches Potential, die psychologisierenden Zwischentöne.

Sie integrieren die Fieberfantasien des Gefangenen, die unendliche Süße der Kerkermeister-Lügen, die halluzinogenen Klänge von Celesta, gestopftem Blech und gedämpften Streichern samt diffizilem Schlagwerk in die Manifestationen der Gewalt. Zwischen den Tutti-Schlägen verteidigen sie die Hoffnung, und sei sie noch so trügerisch.

Kirill Petrenko hebt das utopische Potential der Werke hervor

Als der namenlose Gefangene am Ende ins Freie zu entkommen glaubt, wo ihn  jedoch nur der Kerkermeister als sein Henker erwartet, erkennt er in der Hoffnung das schlimmste aller Folterwerkzeuge. Die Musik hält an ihr fest - ein entsetzliches Dilemma.

Ein politischer Musikfest-Abend, stehen doch zunächst zwei Komponisten auf dem Programm, deren Werke ebenfalls von den Traumata des Zweiten Weltkriegs geprägt sind. Wobei Iannis Xenakis‘ „Empreintes“ weniger unerbittlich klingt als sein Unterwelts-Fanal „Ais“ am Dienstag im Konzert des Rundfunk-Sinfonierochesters. Das unaufhörlich pulsierende G, eingangs unisono von den Blechbläsern vorgetragen und dann durch alle Instrumentengruppen wandernd, erweist sich bald als brüchiger Deckel, unter dem es jedoch beständig rumort.

Langsame kollektive Glissandi, gestanzte Rhythmen, durch die verlorene Einzelstimmen geistern – die Fluchtbewegungen und Irrgänge setzen sich in Bernd Alois Zimmermanns „Sinfonie in einem Satz“ (der Fassung ohne Orgel von 1953) fort.

Auch hier kehrt Petrenko das utopische Moment hervor: Da mag sich der Orchesterapparat noch so sehr zu Gewaltmärschen zusammenrotten, mögen das Blech und die Pauken am Ende die Apokalypse beschwören, das Fragment einer Cello-Kantilene fasst einem um so mehr ans Herz. Es blüht Leben in den Ruinen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false