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Musikfestival im Sommer: Kuckucksei in Klassik

Der Klarinettist Matthias Schorn ist in diesem Jahr das Gesicht der Festspiele Mecklenburg-Vorpommern. Als „Preisträger in Residence“ gibt der Virtuose viele Konzerte in Norddeutschland.

Österreich, da rattert bei jedem natürlich sofort die Klischeemaschine: Wiener Schnitzel, Kaiserschmarrn, Radetzkymarsch, Bergidylle. Vielleicht ist die österreichische Botschaft in Tiergarten schon aus Protest so völlig anders, mit kühlen, klaren Linien und viel grüner Farbe, alle Gemütlichkeit nur in einigen kostbaren Möbeln zitierend. Und auch das, was der Klarinettist Matthias Schorn hier vor einigen Wochen bei einem Empfang der Festspiele Mecklenburg-Vorpommern gespielt hat, zitiert österreichische Klassik – und sprengt sie zugleich: die lustig-virtuose Komposition „Kuckuckseier“ für Klarinette solo des 1977 geborenen Leonard Eröd, lauter bekannte Melodien von Mozart oder Prokofjew („Peter und der Wolf“), durchsetzt mit schrägen, neuen Klängen.

Der sympathische Witz, die nonchalante Selbstverständlichkeit, mit der Matthias Schorn das spielt, zieht das Publikum sofort in seinen Bann. Dann tritt auch noch Daniel Hope auf, künstlerischer Leiter des Festivals – der Abend wird ein voller Erfolg. Dieses Jahr ist neben Hope vor allem Matthias Schorn das Gesicht der Festspiele: 2005 gewann er den Solistenpreis, dieses Jahr kehrt er zurück als „Preisträger in Residente“.

Und das bedeutet: Zwischen Juni und September wird er in über 20 Konzerten auftreten, zum Beispiel am 22. Juni mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin, am 30. Juni mit dem Deutschen Symphonie-Orchester (DSO), am 13. Juli mit dem Percussionisten Martin Grubinger, am 24. August mit dem Pianisten Martin Stadtfeld unter der Leitung von Kristjan Järvi. Dazu kommen Auftritte in der Reihe „Schorny spielt auf“ mit seinem eigenen Weltmusik-Ensemble Faltenradio oder der afrikanischen Crossover-Truppe MuZuluArt.

Gleich zu Beginn der Saison, am 16. Juni, wird Matthias Schorn sogar selbst den Taktstock in die Hand nehmen und das Kammerensemble des DSO dirigieren. Zeitgleich muss er mit seinem eigenen Orchester, den Wiener Philharmonikern, bei den Salzburger Festspielen präsent sein – und wird mit eben diesen Philharmonikern auch nach Mecklenburg-Vorpommern kommen (am 7. September). Unter der Leitung von Lorin Maazel spielen sie Bruckners 8. Symphonie.

Das alles klingt, als sei Matthias Schorn ein Wirbelwind, ein Hansdampf in allen Gassen. Ist er aber gar nicht. Im Gespräch zeigt er sich als kluger, entspannter, gelassen in sich ruhender Mensch, der dennoch voller Ideen und Projekte steckt und auch weiß, wie er sie umsetzen kann. Vielleicht muss man im Alpenländischen geboren sein, um diese gesunde Mischung aus innerer Ruhe und zupackender Energie, aus Bindung an die Scholle und Weltläufigkeit zu entwickeln.

Der 30-Jährige stammt aus Hallein, ein 20 000-Seelen-Ort bei Salzburg. Sein Großvater spielte Zither, sein Vater Klarinette. Beide waren keine Berufsmusiker, aber Musik war doch ständig präsent im Haushalt, das prägt. „Am Wochenende gingen wir in Tracht aus, wir haben herrliche Feste gefeiert, jeder wollte das schönste Gewand haben“, erzählt Schorn. Natürlich gehörten zu dieser Kindheit auch Musikkapellen, der kleine Matthias hätte gern die Trommel gespielt, aber als er acht Jahre alt war, lag eine Klarinette unterm Weihnachtsbaum.

„In mir steckt eine Kreativität, die muss raus“

Das Instrument hat ihn nicht mehr losgelassen: mit 13 ans Salzburger Mozarteum, mit 16 nach Wien an die Universität für Musik und Darstellende Kunst, dann Stationen beim Radio-Sinfonieorchester Wien und beim Deutschen Symphonie-Orchester Berlin unter Kent Nagano. Seit 2007 schließlich der Zenit: Solo-Klarinettist bei den Wiener Philharmonikern. Warum also ausgerechnet die Klarinette? „Der Mozart zugeschriebene Spruch ist abgedroschen, tausendmal zitiert, und trotzdem stimmt er: Die Klarinette kommt der menschlichen Stimme am nächsten“, sagt Schorn.

Er liebt die Möglichkeit, Geschichten mit ihrem schlanken, dunklen Klang erzählen zu können, eine Transformatio im klassischen Sinne beim Zuhörer zu bewirken. Und er ist verdammt froh, dass immer wieder große Komponisten mit Klarinettisten befreundet waren, die sie inspirierten, das Repertoire zu erweiterten. Anton Stadler etwa, dem Mozart das Klarinettenquintett KV 581 und das Klarinettenkonzert KV 622 gewidmet hat, oder Richard Mühlfeld, für den Brahms unter anderem das Klarinettenquintett h-Moll und das Trio für Klarinette, Violoncello und Klavier op. 114 schrieb – das Schorn am 4. Juli in Groß Schwansee spielen wird.

Es ist eine Tradition, an der weiter gestrickt wird: Der junge Komponist Johannes Motschmann hat im Auftrag der Festspiele ein Klarinettenkonzert für Matthias Schorn geschrieben, das dieser beim Abschlusskonzert am 14. September in Wismar uraufführen wird. „Näher kann man nicht dran sein an der Musikgeschichte“, sagt er. Seit Schorn regelmäßig nach Mecklenburg-Vorpommern kommt, hegt er eine Faszination für dieses Land – gerade weil er Österreicher ist. „Man sehnt sich ja immer nach dem, was man nicht hat“.

Natürlich gibt es hier keine Berge, dafür aber weite Horizonte, unter denen der Geist frei atmen kann. „Als ich aufwuchs, dachte ich, Deutschland sieht aus wie Bayern – weil uns das am nächsten lag, das kannte ich. Erst in Mecklenburg-Vorpommern wurde mir klar, dass Deutschland wesentlich vielgestaltiger ist.“ Das Land und die Menschen, die es bewohnen, fließen immer unmittelbar in sein Musizieren mit ein. Schorns Leidenschaft gilt der Volksmusik – nicht als kommerzieller „Musikantenstadl“, sondern als kultureller Ausdruck einer Region, als Musikantentum im besten Sinne.

Der freie, ungezwungene Zugang zur Musik, wie er im etwa Wirtshaus praktiziert wird – das ist es, was ihn interessiert. Auf der Suche nach seinem eigenen Klangideal hat er mehrere Ensembles gegründet, neben Faltenradio auch das Trio Marc Chagall und das Theophil Ensemble Wien, außerdem das Festival „PalmKlang“ in Oberalm bei Salzburg. „In mir steckt eine unbändige Kreativität, die muss raus“, sagt er. Seinem Forscherdrang kann er auch in Mecklenburg-Vorpommern gut nachgehen.

So ist er im Januar, bei den Neujahrskonzerten in Ulrichshusen, mit der Folk- Gruppe „Malbrook“ aufgetreten, deren Name so viel wie „tolle Hose“, also wildes Herumtanzen bedeutet und die mit Sackpfeife, Geige oder Maultrommel traditionelle Musik aus Norddeutschland und dem skandinavischen Raum wiederbelebt. So erfährt man ganz nebenbei, dass gute Volksmusik nicht nur im Alpenländischen existiert. Es ist nicht die einzige Anregung, die sich im Gespräch mit Matthias Schorn ganz von alleine ergibt.

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