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Propagandadienst. Die Wiener Philharmoniker in einem Rüstungsbetrieb, 1943. Foto: bpk

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Musikgeschichte: An der schönen braunen Donau

Die Wiener Philharmoniker stellen sich endlich ihrer NS-Vergangenheit – online und im Fernsehen.

Heuer gerieten die Wiener Philharmoniker vor ihrem Neujahrskonzert kräftig unter Blitz und Donner. Der Eliteklangkörper verweigere sich noch immer hartnäckig der Aufarbeitung seines Wirkens während der nationalsozialistischen Herrschaft, titelten die Medien. Die Archive des Privatvereins würden sich nur unter Druck von außen und auch dann stets nur zum Teil öffnen, beklagte der Bildungssprecher von Österreichs Grünen, Harald Walser.

Vor dem Hintergrund dieser ertrotzten historischen Unschärfe erschien umso monströser, was nach und nach bekannt wurde, etwa die erneute Verleihung des Ehrenrings der Wiener Philharmoniker an Baldur von Schirach gleich nach seiner Entlassung aus dem Spandauer Kriegsverbrechergefängnis 1966. Als auch noch über die Herkunft des weltweit beliebten Neujahrskonzerts im Nationalsozialismus gemutmaßt wurde, entschieden sich die Philharmoniker im Januar dafür, der Tritsch-Tratsch-Polka ein Ende zu machen und eine Historikerkommission einzusetzen.

Es ist nicht der erste Versuch, sich dem Thema zu stellen, aber der bislang konsequenteste, denn er bezieht die Kritiker der bislang praktizierten philharmonischen Deutungshoheit bewusst mit ein. Orchestervorstand Clemens Hellsberg lenkte zum 150. Jubiläum des Orchesters 1992 den Blick auf die ermordeten und vertriebenen jüdischen Kollegen, nun beauftragte er drei Historiker, ihre Studien und Funde für die neue Website des Traditionsvereins aufzuarbeiten. Erste Ergebnisse haben Bernadette Mayrhofer, Fritz Trümpi und Oliver Rathkolb nun online gestellt (www.wienerphilharmoniker.at), weitere sollen bis November folgen. Das neu gewonnene Material soll auch in ein internationales Ausstellungsprojekt einfließen, das für 2014 annonciert ist.

„Wir können nicht sagen: Die Uraufführung der Achten Bruckner, der Zweiten und Dritten Brahms, der Neunten Mahler, das waren wir, aber von 1938 bis 1945 – das waren die anderen. Das ist undenkbar“, wirbt Vorstand Hellsberg für eine Orchestergeschichte, die nicht länger einen Bogen um die schöne braune Donau macht. Die Tatsachen sind ohnehin erdrückend. Schon vor dem „Anschluss“ Österreichs gibt es im Orchester der Wiener Staatsoper, aus dem sich die Philharmoniker im privaten Verein zusammenfinden, viele Nazis, damals noch illegale. Schwarze Listen für die neue Zeit werden geschrieben. Und bis 1945 sind knapp 50 Prozent der Musiker Parteimitglieder – der Durchschnitt in der österreichischen Bevölkerung liegt bei zehn Prozent.

Um sich ihre „Demokratie der Könige“ zu bewahren, unterwerfen sich die Philharmoniker dem Wiener Reichsstatthalter Baldur von Schirach, mit Wilhelm Jerger wird ein Blockwart der ersten Stunde zum Orchestervorstand bestimmt. Alle 15 jüdischen Kollegen verlieren ihre Stelle – neun von ihnen gelingt die Flucht, fünf werden ermordet, zwei sterben vor der Deportation. Durch die Rassengesetze werden Stellen frei. „Eine davon hab ich mir erspielt“, erinnert sich Walter Barylli in der TV-Dokumentation „Schatten der Vergangenheit“ über die Arbeit von Mayrhofer, Trümpi und Rathkolb.

Ehrenring für den Kriegsverbrecher

Propagandadienst. Die Wiener Philharmoniker in einem Rüstungsbetrieb, 1943. Foto: bpk

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Die Doku lüftet auch das Geheimnis um die erneute Ehrenring-Vergabe an von Schirach. Der SS-Mann und Trompeter Helmut Wobisch, nach kurzer Zwangspause wieder Philharmoniker und von 1954 bis 1968 sogar deren Geschäftsführer, soll dem Kriegsverbrecher jenen Ring ersetzt haben, der ihm von den Amerikanern abgenommen worden war. Ein später Dank an einen mächtigen Förderer, der konsequent alle Ersuchen ablehnte, jüdische Philharmoniker von dem Tod zu bewahren. Als Leonard Bernstein in den 60er Jahren die Wiener dirigiert, nennt er Wobisch, inzwischen geschätzter Solotrompeter, „mein liebster Nazi“. Die erneute Ringvergabe an von Schirach sei eine Einzelaktion gewesen, betont Vorstand Hellsberg. Die Aktenlage widerspricht ihm da nicht, bis jetzt.

Ohne Zweifel hingegen ist die Geburt des Neujahrskonzerts aus dem Geist nationalsozialistischer Unterhaltungsideologie belegt. Der nazitreue Dirigent Clemens Krauss leitet am 31. Dezember 1939 erstmals ein Johann-Strauß-Programm, das im Radio übertragen wird. Je heftiger der Krieg wütet, desto stärker hallen Walzerklänge durchs Reich. Missliebige Dokumente über den „Vierteljuden“ Strauß bleiben im Tresor des Propagandaministeriums verschlossen. Bis Kriegsende steigt die Strauß-Rate in den Orchesterprogrammen auf über 50 Prozent an, recherchieren die Historiker. Tote, Trümmer, Walzer – ein forderndes Erbe. Alle Facetten gehörten jetzt auf den Tisch, fordert Kommissionschef Rathkolb. „Wir werden weiter korrigieren, verfeinern und ergänzen.“

„Differenzierungen lohnen sich immer“, urteilt auch Nike Wagner, die ihren Familienclan stets dazu drängt, endlich alle Privatarchive zu öffnen, um die NS- Vergangenheit der Wagners transparent zu machen. Dabei geht es weniger um Sensationsfunde, die Verstrickungen Bayreuths sind hinlänglich bekannt. Doch angesichts eines beispiellosen Kulturbruchs im Nationalsozialismus kann es keine Flucht ins Private oder in die Kunst geben – nicht für die Wagners, nicht für staatstragende Musiker. In Bayreuth repariert man jetzt notdürftig. Die Ausstellung „Verstummte Stimmen – Die Bayreuther Festspiele und die Juden 1876 bis 1945“ wird über das gesamte Wagner-Jubiläumsjahr verlängert.

In Berlin ist man bei der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit weiter. Die Philharmoniker haben sich anlässlich ihres 125. Geburtstags 2007 intensiv mit ihrer Rolle als „Reichsorchester“ auseinandergesetzt. Von den Machthabern vor dem finanziellen Ruin geschützt, hatten die Musiker bereitwillig Propagandaauftritte übernommen, vor allem in den okkupierten Ländern. Der Historiker Misha Aster ließ damals auch keinen Zweifel am zweimaligen Parteieintritt von Herbert von Karajan. Auf Grundlage von Ashers Ergebnissen schuf der Filmemacher Enrique Sanchez Lansch die Dokumentation „Das Reichsorchester“, den die Philharmoniker nun erneut im Hermann-Wolff-Saal zeigen, benannt nach ihrem langjährigen Konzertagenten. Dessen Unternehmen wurde 1935 unter Zwang liquidiert.

„Schatten der Vergangenheit“ läuft am heutigen Samstag um 21.15 Uhr auf 3sat. Die Berliner Philharmoniker zeigen die Dokumentation „Das Reichsorchester“ am 10.4. um 18 Uhr im Hermann-Wolff-Saal. Die Ausstellung „Verstummte Stimmen“ ist noch bis Ende 2013 in Bayreuth zu sehen. Die Historikerkommission macht ihre Ergebnisse auf www.wienerphilharmoniker.at zugänglich.

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