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Musikstadt Dresden: Knaller zum Jahreswechsel

Offiziell tritt er sein Amt erst im August 2012 an. Doch bereits an Silvester 2010 will Christian Thielemann nun beweisen, dass er der deutsch-romantische Traumkapellmeister für die Sächsische Staatskapelle ist.

Mit Melodien aus Lehárs „Lustiger Witwe“ bestreitet Thielemann in der Semperoper das Silvesterkonzert im ZDF. 33 Jahre lang wurde auf dem frühabendlichen Sendeplatz der Jahresausklangsauftritt der Berliner Philharmoniker gezeigt. Dann gab es Unstimmigkeiten, die Berliner wechselten zur ARD – und das ZDF wurde mit den Dresdnern handelseinig. Soll man über die zeitliche Überlappung der Silvesterkonzerte auf beiden Kanälen meckern? Symbolisiert es nicht ein Stück Realität? Wer in der Philharmonie sitzt, kann nicht gleichzeitig in der Semperoper sein. Die Orchester rangieren ganz oben und dicht beieinander.

Dresden bietet das Besondere im Detail. Natürlich dominieren Semperoper, Frauenkirche und die 462-jährige Staatskapelle die Wahrnehmung. Aber ein urbanes, heterogenes Publikum – jüngere Bürger, anspruchsvolle Zugewanderte, Studenten, Touristen und die ehrwürdigen Abonnenten über sechzig – möchte mehr. Und bekommt eine Fülle geboten in den Kirchen und Sälen der Stadt, im Elbtal zwischen Batzdorfer Barockfestspielen und Schostakowitsch-Tagen in Gohrisch in der Sächsischen Schweiz.

Ulrike Hessler vergleicht die Stadt gerne mit München. Die neue Intendantin der Semperoper spürt das urbane Leben in einer Weise wachsen, „die ich mir vor einigen Jahren nicht vorgestellt hätte“. Gut hundert Tage ist sie im Amt. „Das Arbeitsethos ist wahnsinnig hoch“, sagt sie. Richard Strauss’ „Daphne“, Henzes jüngster Wurf „Gisela!“ und besonders Dvoráks „Rusalka“ in der bilderreichen Inszenierung von Stefan Herheim sind die ersten bemerkenswerten Premieren in der Ära von Hessler, die ein ehrenwertes Ziel verfolgt: mehr Dresdner, mehr junge Leute in ihre Oper zu bringen. Mit der Probebühne „Semper 2“ hat gerade eine Spielstätte für Kleinformatiges und Experimentelles im Stammhaus geöffnet.

In Dresden herrscht im Regelfall ein Überangebot an Musik, vom Barock bis zur romantischen Sinfonik, dazu gibt es Jazz und Zeitgenössisches in Hellerau. Und dann sind da ja noch die Dresdner Musikfestspiele im Frühsommer. Die Frauenkirche, zunächst bedingungsloser Publikumsmagnet, ist fünf Jahre nach der Weihe in der Dresdner Realität angekommen – und nur noch selten ausverkauft. Was den sensiblen Dresdner Ohren fehlt, ist ein Saal von der akustischen Qualität der Berliner Philharmonie. Seit Jahren bemüht sich eine Initiative vergeblich um einen veritablen Hightechkonzertsaal. Nun soll der Kulturpalast aus DDR-Zeiten entkernt werden und einen Konzertsaal als neues Herz bekommen. 2014 wird die Operation beendet sein, ihr Gelingen wäre dem Hausorchester, der Dresdner Philharmonie, nur zu wünschen. Gut konzipiert sind die Programme seit Jahren, mit Michael Sanderling als Philharmonie-Chef könnte sich ab der kommenden Saison auch das Spiel der Musiker weiter auffrischen.

„Viele wissen noch gar nicht, was hier in den nächsten Jahren entstehen kann“, verkündet Christian Thielemann mit preußischer Herrenpose. Der Stolz des Berliners ist auch vielen Dresdnern eigen. Zehn Minuten Fußweg sind es vom Opernhaus bis zum ehemaligen Gelände der Dresdner Stadtwerke, das zu einem Zentrum der Kultur und der Kreativen werden soll. „Es gibt so viele Angebote und Potenziale, aber so wenig Mut, etwas zu wagen“, sagt Architekt Peter Kulka, der für ein Kulturkraftwerk streitet.

2008 bereits hatte der Stadtrat beschlossen, an diesem Standort die „Staatsoperette Dresden“ sowie das „Theater Junge Generation“ einziehen zu lassen, die bislang beide in Nachkriegsprovisorien weitab vom Stadtzentrum agieren. Dann wurde der Beschluss wegen Geldmangels wieder gekippt – um jüngst erneut gefasst zu werden. Jetzt ist die Hoffnung größer denn je, dass hier ein neues Kulturbiotop quer durch die Sparten wachsen kann.

Fr, 31.12., ARD, 17 Uhr 15 bis 18 Uhr 45: Silvesterkonzert der Berliner Philharmoniker. Und im ZDF, 17 Uhr 30 bis 19 Uhr: Silvesterkonzert aus der Semperoper.

Karsten Blüthgen

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