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Kultur: Musikzimmer: Intimität und Klang

Zur 22. Lieferung ist es an der Zeit, dass das Musikzimmer sich selbstreflexiv seinem eigenen Namen stellt.

Zur 22. Lieferung ist es an der Zeit, dass das Musikzimmer sich selbstreflexiv seinem eigenen Namen stellt. Währenddessen läuft in demselben die seltsamste und unsinnigste Fernsehpopmusik, die es je gehört hat: "The Sensational Dan & Dave Play Batman & Robin". Dazu später mehr.

Im Musikzimmer fand einst die bürgerliche Hausmusik statt. Der Begriff der Kammermusik zeugt von dem Zusammenhang zwischen beengteren Wohnverhältnissen und dem Format der Klangkörper. Mit der Kompaktstereoanlage war irgendwann die mechanische Musikproduktion bis ins Schlafzimmer und Kinderzimmer vorgedrungen. Das traditionell enge Verhältnis von Musik und Intimität erklomm einen neuen Höhepunkt. Der nächste war erreicht als erst Walkmen und dann Discmen uns erlaubten die massenproduzierten Gesänge,die immer so tun als würden sie sich nur an einen, nur an Dich oder an mich richten, mit in die Öffentlichkeit zu nehmen. Die Rezeption hatte sozusagen das Haus verlassen und das Musikzimmer diente allenfalls noch der privilegierten Aufbewahrung von Tonträgern, während ihr Abspielen überall erfolgte. Während dieser Zeit miniaturisierte sich auch die Produktionstechnologie und die 90er Jahre wurden von Produkten geprägt, die nicht mehr in öffentlichen und institutionellen Studios entstanden, sondern in den Schlafzimmern der Produzenten. Home Recording wurde zum Standard und Bedroom-Studios die neuen Musikzimmer.

Die Gegenentwicklung zu soviel Privatisierung und Intimisierung war der Plattenladen. Das eigentliche Musikzimmer unserer Zeit. Als in den 80ern WOM, Saturn und die anderen Musikkaufhäuser die alteingesessenen Plattenhändler zu pulverisieren begannen und der Elektrofachhandel mit Singles-Abteilung endgültig verschwand, entstand als Gegenbewegung der zimmergroße Indie-Plattenladen, der die in Miniauflagen gepressten Singles und wenigen Alben der frühen Punk und New-Wave-Kultur vertrieb.

Zwar versuchten die Musikkaufhäuser zunächst noch mit der Diversifizierung der Szenen und Geschmäcker Schritt zu halten und ihre Stockwerke nach obskuren selbstgemachten Kategorien zu sortieren. Doch ernst nehmen konnta man sie nur gelegentlich, sofern ein einsamer Einkäufer eine Abteilung inspiriert sortieren durfte. Es sprach sich herum, in welchem Kaufhaus nur Jazz oder nur neue Musik oder nur Weltmusik von Qualität zu beziehen war. Mitte der 90er konnte man aber fast alles anderswo besser kaufen.

Es sind buchstäblich Zimmer und kleine Ladenlokale, in denen avancierte Musik öffentlich zugänglich wird. Anders als in Köln, wo "A-Musik", "Groove Attack" und "Kompakt" zeitweilig nur wenige Gehminuten voneinander entfernt dem vielseitig Interessierten die Möglichkeit gaben, an einem Nachmittag die ganze Bandbreite seines Geschmacks abzuschreiten, muss man in Berlin für dieselbe Bandbreite allerdings von "Hard Wax" bis zu "Mr. Dead & Mrs. Free" mehrere Tage einkalkulieren. Ungewöhnlich ist da die Lebensdauer des Musikzimmers par excellence: "Gelbe Musik" (Fachgeschäft für neue Musik, Sound Art und Klangkunst, freie Improvisation, Ränder der Rockmusik und vor allem die diversen Grenzbereiche zwischen Musik und Bildender Kunst) feiert seinen 20. Geburtstag. Angefangen hatte Ursula Block mit einer Ausstellung von Partituren und bis heute hat der Laden die womöglich weltweit interessanteste Auswahl von oft extrem seltenen und schon ewig vergriffenen Künstlerschallplatten, und zwar zu den alten Preisen. Das Jubiläum wird am 11. Dezember in der Staatsbank mit Auftritten von Armchair Travellers und Ich schwitze nie gefeiert. Fluxus-Größen wie Emmett Williams und Henning Christiansen und nicht kategorisierbare Einzelne wie Wolfgang Müller (Tödliche Doris) haben Gastauftritte zugesagt.

1966 brauchte sowohl der extraterrestrische Free-Jazz-Bigbandleader Sun Ra sowie die Leute der einflussreichen Ur-Bluesrock Band Blues Project Zusatzeinkünfte: So taten sich Sun Ra und sein engster Zirkel (Marshall Allen, John Gilmore) mit ausgrechnet dem Blues Project zusammen, das auch schon für Trash-LSD-Filme von Roger Corman tolle Schlockpsychedelia-Soundtracks eingespielt hatte. Als Dan & Dave produzierten sie einen schwer genießbar coolen Soundtrackquark, den die Loungekultur mit langen Lippen ablecken wird. Diese Platte war wohl die seltenste und am meisten gesuchte aller Auktionen, jetzt gibt es sie als CD in den Musikzimmern dieser Welt und ist natürlich nur halb so aufregend. Aber man braucht sie trotdem.

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