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Kultur: Mylord

Nagano und das DSO spielen Bruckner in der Philharmonie

Wohl niemand hätte von Kent Nagano erwartet, dass ausgerechnet die Erkundung von Bruckners sinfonischem Kosmos im Zentrum seiner ersten Berliner Jahre stehen würde. Welten scheinen den katholischen Mystiker und den kalifornischen Taktstock-Analytiker zu trennen, und doch ist es gerade diese Entfernung, die Klarheit schafft. Nach der dritten, fünften, achten und neunten beweist jetzt die siebte Sinfonie, dass diese Konzentration nicht bloß auf zyklischen Ehrgeiz zurückzuführen ist, sondern dass Bruckner für Nagano der Angelpunkt der sinfonischen Entwicklung ist.

Was Nagano an Bruckner interessiert, ist nicht die Monumentalisierung als orchestraler Leistungsbeweis, ist nicht die Sehnsucht nach einer idealisierten Vergangenheit, sind nicht die wagnerianischen Gemengelagen von Pathos und sublimierter Sinnlichkeit, die Christian Thielemann in diesen Werken entdeckt. Für Nagano steht Bruckner genau an dem Punkt der sinfonischen Entwicklung, wo die klassische Form unter dem Druck ihrer Aufgabe zerbirst, Spiegel einer harmonischen Gesellschaft sein zu müssen.

Für Nagano beginnt mit Bruckner die Moderne, das machte schon im letzten Jahr die Implantierung von Schönbergs „Erwartung“ zwischen dem zweiten und dritten Satz der Neunten deutlich, und das soll auch diesmal vor der Siebten ein Patchwork aus der „Kunst der Fuge" und Boulez zeigen: Bach als Beispiel einer bruchlos funktionierenden Struktur, Boulez als Fortführung der Zersplitterung ins schillernd-scharfkantige Mosaik.

Gut gedacht, nur leider vom DSO zu amorph gespielt, um überzeugen zu können. Doch die Überzeugungsarbeit muss jenseits aller Programmdidaktik ohnehin Naganos Bruckner-Interpretation selbst leisten. Sie tut es mit faszinierender Konsequenz: Nagano versucht erst gar nicht, die auseinanderdriftenden Themenblöcke des Kopfsatzes durch dramatisierende Agogik zusammenzuzwingen, sondern stellt die disparaten Elemente in lakonischer Deutlichkeit nebeneinander. Für den tragenden Grundstrom sorgen die flüssigen Tempi, die zugleich eine collagehafte Kontrastdramaturgie garantieren. Selbst im sonst meist zur Bruckner-Gedenkstunde zerdehnten Adagio stoßen mit einem Mal völlig disparate Stimmungen von Idyllik über kurzatmige Triumphgesten bis zu jähen Abstürzen direkt aneinander, wird ein Kampf offenbar. Bruckner als direkter Vorgänger von Alban Berg - das entwickelt in der Philharmonie eine überwältigende Stringenz, bis in die geradezu gewaltsamen, erschlagenden Schlusstakte hinein: Als das nervös-euphorische Finalthema zusehends ins Katastrophische abgleitet, erbarmt sich das Blech und gibt dem sterbenden klassischen Ideal den Gnadenstoß. Jörg Königsdorf

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