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Kultur: Nachrichten aus der Nervenhölle

Zehn Jahre Aufbauarbeit sind zerstört: Vier gebürtige Dresdner erzählen, wie es ihnen angesichts der Flut dieser Tage ergeht

Jan Josef Liefers, Schauspieler, 1964 in Dresden geboren, dreht zur Zeit einen „Tatort“ in Münster.

Es ist schrecklich, jetzt nicht in Dresden zu sein. Aufgewachsen bin ich in Sichtweite des Hauptbahnhofs; und nun stehen die Züge unter Wasser. Ich dachte, ich sehe nicht richtig: Die Bilder erinnern an Katastrophenfilme. Mein erster Gedanke galt natürlich meiner Mutter, eineinhalb Tage lang erreichte ich sie nicht. Als Kind des Kommunikationszeitalters rechnet man nicht damit, nicht mehr telefonieren zu können. Inzwischen weiß ich, dass sie zum Glück halbwegs auf dem Trockenen sitzt. Aber es ist eine Nervenhölle, von der Außenwelt abgeschnitten zu sein.

Ich denke viel an die Geschichten meiner Großmutter. Wie sie beim Bombardement im Keller saß und meine einjährige Mutter im Kinderwagen, den sie mit einem nassen Laken abgedeckt hatte, in die Ecke schob, weil die Kellerecken am sichersten waren. Oder die Geschichte von den zwei Bäumen, die nach den Phosphorangriffen als verkohlte Stümpfe am Elbufer standen und nach Kriegsende wieder Blätter trieben. Symbolkräftige Geschichten: Denn der Dresdner an sich ist nicht hysterisch, er besitzt große Kraft und Gelassenheit. Der erste Wiederaufbau der Semper-Oper begann übrigens illegal; ich lernte dort damals gerade das Tischler-Handwerk. Die DDR-Behörden mussten mit der Genehmigung nachziehen. So sind wir Dresdner: Wir verteidigen unsere Stadt und ihre Kultur Zentimeter um Zentimeter.

Jürgen Engert, Journalist, 1936 in Dresden geboren, war SFB-Fernsehchef und Gründungsdirektor des ARD-Hauptstadtstudios.

Im zweiten Weltkrieg glaubten die Dresdner, es sei eine Turbulenz um sie herum, aber sie selbst seien weitgehend sicher. Ohne die Dresdner Bombennacht mit dem Hochwasser vergleichen zu wollen: Ähnlich kam auch jetzt etwas bislang Unvorstellbares über die Stadt. Ich habe nach dem Bombenangriff als Junge bei der Semper-Oper Steine geklopft: Im Wiederaufbauen haben wir Übung. Ich habe als Kind auch erlebt, dass die Straßenbahn wegen Hochwasser manchmal nicht fahren konnte. Aber was jetzt passiert, sprengt jede Dimension. Die Sachsen haben seit 1990 mit einer enormen Kraftanstrengung, auch mit Stolz auf die eigene Heimat, versucht, aus ihrem Land wieder etwas zu machen. Und nun ist all das gefährdet. Hinzu kommt, dass die Wasserflut auf eine allgemeine Depression trifft – eine fatale Koinzidenz. Aber die älteren Bürger wissen: Leben ist Risiko. Das haben wir in Dresden erfahren. Vielleicht ist der Dresdner deshalb anpassungsfähig und hat die Fähigkeit, aus einer Misere das Beste zu machen.

Udo Zimmermann, Komponist, 1943 in Dresden geboren, ist Intendant der Deutschen Oper Berlin.

Aufgewachsen in der Trümmerstadt Dresden, bin ich ein Kind der sächsischen Kulturlandschaft, eine der ältesten Europas. Die Jahrhunderflut versetzt die Stadt in eine Art Kriegszustand: Tausende werden evakuiert, die Elbbrücken sind gesperrt, von den sozialen Nöten zu schweigen. Die Kulturdenkmäler sind in Mitleidenschaft gezogen, allein die Semper-Oper wird wohl ein halbes Jahr nicht mehr spielen können. Und sie hat mit dem plötzlichen Tod ihres Chefdirigenten Giuseppe Sinopoli erst kürzlich Schlimmes erlebt. Schlimmer ist jedoch, dass die Aufbauarbeit von 10 Jahren auf den Nuzllpunktl zurückgeworfen ist, und das in einer Stadt, die ein Synonym für die deutsche Kultur insgesamt ist. Ihr Nerv ist getroffen, das ist deprimierend: Eine blühende Landschaft ist in einen Moment des Zeitstillstands geraten. Bei der Wiederherstellung hoffe ich auf große Solidarität von Seiten der deutschen und der europäischen Kulturszene.

Arnulf Baring, Historiker, 1932 in Dresden geboren, ist Vorstandsmitglied der Freunde des Dessau-Wörlitzer Gartenreichs.

Was mich am meisten bewegt, ist die Angst um das Wörlitzer Gartenreich in Sachsen-Anhalt. Diese einmalige Kulturlandschaft liegt als Weltkulturerbe am Zusammenfluss von Elbe und Mulde. Wenn die Mulde nicht abfließt, bis das Elbe-Hochwasser ankommt, geht dort womöglich alles zu Bruch. Ich war vor drei Tagen dort und versuche mir vorzustellen, was geschieht, wenn die Dämme nicht halten. Bislang dachte man immer, die Elbe in Dresden sei ein breiterer Bach. Und nun bedroht sie den Wiederaufbau der Frauenkirche. Diese ist ja ein Symbol der Hoffnung: eine ungeheure Anstrengung, die erneut in Mitleidenschaft gezogen wird. Man greift sich ans Herz: Wie stabil ist der noch nicht abgeschlossene Kuppelbau eigentlich? Es ist schwer, sich zu vergegenwärtigen, dass Wirbelstürme und Dauerregen künftig regelmäßig über uns kommen. Wie soll man da etwa die sächsische Kulturlandschaft schützen, die ja auf Sandstein gebaut ist? Deiche in Dresden? Es ist wie bei Tschernobyl: Nur eine gewaltige Katastrophe bringt die Menscheit dazu, sich zu ändern. Was vor Ort geschieht, geht einem persönlich nahe. Aber lokale Maßnahmen können langfristig viel zu wenig ausrichten.

Aufgezeichnet von Christiane Peitz

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