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Nachruf: Alan Sillitoe: Arbeiten, kämpfen, schreiben

Er schrieb an gegen die britische Klassengesellschaft, als in Deutschland an eine Literatur der Arbeitswelt noch nicht zu denken war. Zum Tod des britischen Schriftstellers Alan Sillitoe.

Von Gregor Dotzauer

Alan Sillitoe, 1928 in Nottingham geboren, war parteilich bis aufs Blut, und sein manichäischer Blick schied die Verhältnisse genau so, wie sie Bernt Engelmann und Günter Wallraff später, Anfang der siebziger Jahre, zusammenfassten: „Ihr da oben – wir da unten“. Doch in Sillitoes Literatur zuckt das Herz des Arbeiters, die Leiber bäumen sich auf, und es ist, was die unbedingte Vitalität seines Erzählens betrifft, noch eine Kleinigkeit, wenn einer dem anderen dabei besoffen auf den Anzug kotzt. Sillitoe steht für einen saftigen kitchen sink realism, dessen Drastik sich immer aus der Lebenswut seiner Protagonisten rechtfertigen lässt.

„Ein hochoktaniger Treibstoff von sieben Gin und elf Glas Bier“ ist das Mindeste, um am Wochenende Arthur Seaton, den an der Drehbank einer Fahrradfabrik stehenden Protagonisten seines Debütromans „Samstagnacht und Sonntagmorgen“, auf Touren zu bringen – und nur Doreen, eine junge Frau kann ihm Einhalt gebieten. Das von Karel Reisz verfilmte Buch, mit dem er 1958 seinen Ruhm auf einen Schlag begründete, hat heute noch Kraft: Seatons Aufbegehren, ganz aus seiner eigenen Perspektive geschildert, hat die sozialen Begleitumstände überlebt – gerade weil er sich einbildet, ihnen allein mit seinem halb rebellischen, halb resignativen Trotz begegnen zu können.

Alan Sillitoe gehörte neben John Osborne und Kingsley Amis zu den Stimmen der angry young men, die England nach dem Krieg daran erinnerten, die Bedeutung von Kunst müsse sich auch an der Wirklichkeit messen lassen. Sillitoes Privileg bestand freilich darin, dass er viel von dem gelebt hatte, worüber er schrieb. Mit 14 Jahren hatte er die Schule quittiert und sich selbst als Fabrikarbeiter durchgeschlagen, bis er Funker bei der Royal Air Force wurde, mit dem Wunsch, sich für den Beruf des Piloten qualifizieren zu können. Die Tuberkulose beendete seine Karriere, und er versuchte sich, inspiriert von D.H. Lawrence, fortan in der Literatur.

Sillitoes Werk, das über fünfzig Titel aller Genres umfasst, mag nicht nur seine Stärken, sondern auch seine Grenzen im persönlich Beglaubigten haben: So berühmt wie sein Debüt wurde nur noch die kämpferische Story, die 1959 seiner ersten Geschichtensammlung den Titel gab: „Die Einsamkeit des Langstreckenläufers – The Loneliness of the Long-Distance Runner“. Das Bemühen, seinen Radius mit Gedichten, Kinderbüchern und Reiseberichten auszuweiten, war unverkennbar. Dennoch konnte er es nicht lassen, sein Debüt 2001 mit dem Roman „Birthday“, erzählerisch aus dem Abstand von vierzig Jahren, fortzusetzen. Nun ist er mit 82 Jahren im Londoner Charing Cross Hospital gestorben.

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