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Rudolf Leopold

© dpa

Nachruf: Das untrügliche Auge

Zum Tod des Wiener Kunstsammlers Rudolf Leopold: Der Schiele-Experte und Museumsgründer war wegen seiner Haltung in Restitutionsfragen auch umstritten.

Im September 2001 erklomm Rudolf Leopold den Gipfel seiner Laufbahn als Kunstsammler. Als neuer Direktor des nach ihm benannten Museums führte er durch das Haus, den in strahlend hellen Muschelkalk gekleideten Würfel im neu eröffneten Museumsquartier zu Wien. Hier ein Gemälde, da eine Jugendstilkommode erläuternd, zu jedem Werk eine Geschichte parat, die Fernsehteams im Pulk hinter sich herziehend: der Feldherr nach gewonnener Schlacht.

„Du wirst dich 95 Prozent deiner Zeit mit Politikern und deren Erfüllungsgehilfen herumschlagen“, habe man ihm prophezeit – und dass dies nach der Eröffnung wieder anders werde. Leopold zitierte den Satz, ob erfunden oder nicht, genüsslich und schob ein „hoffe ich“ nach.

Die Hoffnung hat getrogen. Der Sammler, der nichts anderes wollte, als seine teils noch im eigenen Haus droben in Grinzing, mit gebührendem Abstand vom Gerüchte- und Intrigenkessel Wien gelagerten Bestände an den Wänden eines Museums zu sehen, geriet immer tiefer in politische Auseinandersetzungen hinein. Die Arbeiten der österreichischen Künstler Egon Schiele und Gustav Klimt, die er seit Anfang der fünfziger Jahre für geringe Summen erstanden hatte, waren nicht nur Millionen wert geworden, sondern galten auf einmal als Symbole des verdrängten Unrechts, das Österreich zur Nazizeit seinen jüdischen Mitbürgern angetan hatte. Eines nach dem anderen verfielen Hauptwerke der Sammlung dem Verdacht, Raubkunst zu sein, und die Restitutionsforderungen häuften sich. Leopold blieb abweisend. Zwar nannte er üppig dotierte Vergleichsangebote, doch sein Lebenswerk wollte er unter allen Umständen bewahren: die Sammlung, wie sie im Leopold-Museum ausgestellt ist.

Rudolf Leopold, gebürtiger Wiener des Jahrgangs 1925, studierte Medizin – und beschloss nach dem Erlebnis seines ersten Besuchs im Kunsthistorischen Museum 1947, „Bilder zu sammeln“. Und er machte es gründlich, begann sofort ein Studium der Kunstgeschichte. 1950, so seine Erzählung, stieß er auf einen Werkkatalog von Egon Schiele, dem 1918 verstorbenen Junggenie der zu Ende gehenden Donaumonarchie. Fortan kaufte er Schiele-Werke, die zu dieser Zeit keinerlei Wertschätzung genossen und entsprechend billig zu haben waren. Schieles „Häuser am Meer“ von 1914 erwarb er von einem Dachboden weg für umgerechnet 900 Euro – was ihm in den vergangenen Jahren, seit das Bild mit einer Restitutionsforderung belegt ist, als „Manipulation“ vorgehalten wurde. Leopold wurde 1953 Augenarzt und stürzte seine alsbald fünfköpfige Familie Mal um Mal in finanzielle Probleme, wenn er wieder einmal seinen Bankkredit strapazierte. Oft genug gab er bereits erworbene Kunstwerke als Sicherheit, um weitere Arbeiten zu kaufen.

Leopolds Sammlung wuchs, als Dauerleihgaben in Museen und seit den achtziger Jahren durch Ausstellungstourneen wurden die Arbeiten bekannt. Allein von Egon Schiele trug Leopold 44 Gemälde und 180 Aquarelle und Zeichnungen zusammen. Legendär wurde die Kennerschaft des Sammlers. Er benötige „eine Sekunde“, um eine Schiele-Fälschung zu entlarven, erzählte er gern. Tatsächlich ist ihm nie eine Fälschung, wie ansonsten im überhitzten Markt der österreichischen Moderne so häufig, untergekommen.

1994 war der Zeitpunkt einer Übereinkunft mit der Republik Österreich gekommen: Exakt 5266 Objekte gingen in die „Leopold Museum Privatstiftung“ ein, für die der Staat umgerechnet 157 Millionen Euro als Ablösung an den Sammler bezahlte – ein gutes Viertel des damals auf acht Milliarden Schilling taxierten Wertes. Dazu gab’s den Museumsbau samt Direktorenstellen auf Lebenszeit. Die füllte Leopold leidenschaftlich aus; mit weißgrauem Bart und weißgrauem Haar ganz der Patriarch der österreichischen Kunst. Leopold war am Ziel, er glaubte, „der Republik ein übersehenes Kernstück ihrer Identität nachreichen zu können“. Gern sprach er vom „blinden Fleck“ in Österreichs kultureller Selbstwahrnehmung. Doch als blinder Fleck erwies sich die Wahrnehmung der NS-Vergangenheit. Als zwei der wertvollsten Schiele-Gemälde Leopolds aus einer Ausstellung mit Leihgaben des Sammlers im New Yorker Museum of Modern Art heraus beschlagnahmt wurden, kam das böse Erwachen. Die daraufhin angelaufene Restitutionsdebatte fand ein Jahr später in den Washingtoner Prinzipien ihren Niederschlag.

Auf Leopolds Privatstiftung finden die Regularien, die Österreich hastig und mit schlechtem Gewissen nachlieferte, keine Anwendung. Manche Aufregung hat sich mittlerweile gelegt, da die oftmals verzwickte Geschichte einzelner Werke nachverfolgt worden ist und den Verdacht auf Bereicherung im Gewirr der österreichischen Nachkriegsgeschichte entkräftete. Längst hatte sich Leopold auf andere Künstler konzentriert. So brachte er mit Albin Egger-Lienz einen zu Unrecht als Blut-und-Boden-Maler geschmähten Künstler der Zwischenkriegszeit zu kunsthistorischen Ehren.

Das Leopold-Museum, nicht zu vergessen, ist seit Anbeginn das Zugpferd des Wiener Museumsquartiers. Hier sei „das Fin de siècle 100 Jahre später doch noch in Wien heimisch geworden“, erklärte Rudolf Leopold zur Eröffnung seines Hauses. Das war sein Ziel und wurde sein Triumph. Am Dienstag ist der Sammler-Arzt 85-jährig in Wien verstorben. Und am 26. Juli geht der Streit um eines der beschlagnahmten Schiele-Bilder weiter – vor einem Gericht in New York.

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