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Ein Zerrissener. Yoram Kaniuk starb am Samstag in Tel Aviv, wo er 1930 geboren wurde. Foto: Ronen Zvulun / Reuters

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Nachruf auf Yoram Kaniuk: Der Erniedrigung trotzen

Berühmt geworden ist Yoram Kaniuk mit seinem Roman "Adam Hundesohn", in dem er die Nachwirkungen des Holocaust beschreibt. Jetzt ist der große israelische Schriftsteller gestorben.

Als Yoram Kaniuk 2004 nach einer schweren Darmkrebsoperation und einer sich anschließenden Lungenentzündung in ein fast dreiwöchiges Koma fiel, hatte der israelische Schriftsteller das Gefühl, so sollte er sich später erinnern, „an einem behüteten, sicheren Ort zu sein, irgendwie beschützt. Ich wusste ja gar nicht, dass ich mich mitten im Sterben befinde. Das verstand ich erst später.“ Tatsächlich kehrte er nach und nach wieder ins Leben zurück, um dann die Zeit des Komas in einem nach seiner Autobiografie „I Did It My Way“ zweiten autobiografischen Buch Revue passieren zu lassen, „Zwischen Leben und Tod“. Darin heißt es: „Ich bin aus meinem Leben vertrieben worden und habe kein Problem damit. Das Leben, aus dem ich verjagt worden bin, ist nicht das Leben, das ich habe leben wollen.“

Das klingt kokett, entspricht aber auch der Zerrissenheit, die Kaniuks Leben zwischen verschiedenen Welten und Kulturen bestimmt hat. Geboren wurde Kaniuk 1930 in Tel Aviv, als Sohn einer aus Russland stammenden Mutter und eines Vaters, der in Galizien zur Welt kam, im Ersten Weltkrieg österreichischer Offizier war, danach in Berlin lebte und 1926 nach Palästina emigrierte. Sein Vater war es, der ihn für die deutsche Kultur- und Geistesgeschichte begeisterte – was Kaniuk nach dem Holocaust in schwere Konflikte stürzte, ihn jedoch nicht von seiner ablehnenden Haltung Deutschland gegenüber abbringen konnte: „Ich kann nicht verstehen, wie Juden hier überhaupt leben können“, sagte er kurz nach der Wende in einem Interview. „Dass sie in der Schweiz leben, ist schon schlimm genug. Aber hier, auf dem größten Friedhof für Juden aller Zeiten!“

Kaniuk kritisierte die deutsche Friedensbewegung während des Zweiten Golfkriegs und warf ihr mangelnde Solidarität vor, er bezeichnete deutsche Giftgaslieferungen für irakische Scud-Raketen „als fortgesetzten Versuch der Auslöschung des jüdischen Volkes“, und in einer Diskussion mit Günter Grass äußerte er sich über alle vernünftige Maßen zugespitzt: „Ich kann jeden Morgen zum Frühstück ein palästinensisches Baby bei lebendigem Leibe verspeisen, und ihr Deutschen habt nicht das Recht, mich zu kritisieren.“

Nachdem Kaniuk 1948 im israelischen Unabhängigkeitskrieg schwer verwundet worden war, wovon er in seinem dieses Jahr auf Deutsch veröffentlichten Kriegs- und ebenso Antikriegsroman „1948“ erzählt hat, arbeitete er auf einem Schiff für Holocaust-Überlebende und ging dann nach Paris und New York, der Malerei zuliebe.

Aber die eigene Herkunft und der Holocaust sollten ihn nicht loslassen: 1961 kehrte er nach Tel Aviv zurück, die Stadt kam ihm wegen der vielen deutschen Juden auf eine melancholische Art verändert vor: „Sie waren tief verletzt und fühlten sich erbärmlich und erniedrigt. Ich bin mit dieser Erniedrigung aufgewachsen.“ Und er setzte sich nach seinem Romandebüt „The Acrophile“ von 1960 auch literarisch mit dieser Erniedrigung und dem Holocaust auseinander: in seinem vielleicht berühmtesten, 1969 in Israel veröffentlichten und 2007 von Paul Schrader unter anderem mit Moritz Bleibtreu und Veronica Ferres verfilmten Roman „Adam Hundesohn“, der von Patienten in einer in der israelischen Wüste gelegenen Klinik erzählt, von Patienten, die versuchen, die in den deutschen Lagern erlittenen Traumata zu bewältigen. Adam Stein, der Erzähler, schafft das nur mit viel Humor und geradezu übersteigertem Zynismus. Letztendlich weiß er nur zu gut, dass der Holocaust ihn bis zum Tod begleiten wird.

In „Der letzte Jude“, 1991 auf Deutsch erschienen, ist es der KZ-Häftling Ebeneser Schneurson, der wegen seiner Holzschnitzerfähigkeiten den Holocaust überlebt. Schneurson ist „ein wandelndes Gedächtnis“, aber auch ein „geschichtsloser Mensch“, und er erzählt die Geschichten seiner toten Mitgefangenen, die Geschichte der Juden und der Israels überhaupt. Fast zwanzig Jahre arbeitete Kaniuk an diesem Roman, auf den er mit „Das Glück im Exil“ eine Auseinandersetzung mit der Generation seines Vaters folgen ließ, aber auch kleinere, seinem Gesamtwerk ein disparateres Bild verschaffende Bücher wie den rätselhaften Thriller „Das Bild des Mörders“, die heitere Groteske „Die Queen, ihr Liebhaber und ich“ oder eben „I Did It My Way“ über seine Jahre in Paris und New York.

An eine Aussöhnung zwischen Palästinensern und Israelis hat Yoran Kaniuk stets geglaubt, wenngleich seine Zuversicht mit den Jahren und auch wegen der Hardlinerpolitik eines Netanjahu zunehmend schwand. Er gründete ein palästinensisch-israelisches Schriftstellerkomitee, und aus Protest gegen die Macht orthodoxer Rabbiner in Israel ließ er sich 2011 als „Bürger ohne Religion“ führen. Denn: „Die Kombination von Judentum und Demokratie funktioniert nicht.“

Am Samstag ist Yoram Kaniuk im Alter von 83 Jahren nach langem Krebsleiden in einem Krankenhaus seiner Heimatstadt Tel Aviv gestorben.

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