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Nachruf: Sirenenton des freien Denkens

Der Medientheoretiker Friedrich Kittler ist tot. Als ihn deutsche Professoren und Feuilletonchefs noch verspotteten, hatten Amerikaner und Skandinavier schon erkannt, dass sie es hier mit einem der größten Theoretiker der Medien zu tun haben, neben Marshall McLuhan.

Friedrich Kittler ist tot. Er war ein großer Geist, der in einem zunehmend gebrechlicheren Körper wohnte. Wer in den letzten Monaten seines Lebens noch mit ihm sprach, vergaß diese Hinfälligkeit aber sofort, wenn Kittler, getragen von Rotwein und Zigarettenrauch, seine jüngsten Gedanken entfaltete. Er hat nicht diskutiert. Er war enthusiastisch, und dieser Enthusiasmus war ansteckend. Jedes Mal, wenn ich nach einer Begegnung mit ihm nach Hause kam, wollte ich mein Leben ändern – oder doch wenigstens mein Denken.

Kittler war Medientheoretiker, Literaturwissenschaftlich – und ein wirklich freier Geist. Den Konformismus des „kritischen Bewusstseins“ hat er nie geteilt. Er war schon politisch unkorrekt, als es die neuen Jakobiner des Universitätscampus noch gar nicht gab. Mit der Studentenbewegung hatte dieser 68er dann auch nichts zu tun. Wenn Kittler protestiert hat, dann für Sein und Zeit. Begriffe wie „die Gesellschaft“ hat er mit Spott und Hohn überzogen. Aber an der Wirklichkeit der Götter hat er keine Sekunde gezweifelt.

Kittler, 1943 im sächsischen Rochlitz geboren, polarisierte wie kein Zweiter. Legendär ist die Geschichte seiner Habilitation, die die unfassbare Zahl von 13 Gutachten und Gegengutachten erforderte. Er ging dabei nicht um irgendein Buch, sondern um das spätere Grundbuch der deutschen Medienwissenschaft „Aufschreibesysteme 1800/1900“. Das Schicksal dieses Buches sagt viel über die deutsche Borniertheit und noch mehr über das, was Kittler erleiden musste. Erst wurde er ignoriert, dann wurde er bekämpft – und endlich dann doch umarmt.

Kittlers Texte sind kompromisslos. Sie sind unglaublich gut geschrieben und gleichzeitig schwer verständlich. Man muss sie buchstäblich studieren. Aber wer sich auf sie einlässt, der erliegt rasch dem Sirenenton des Kittler-Sounds. Seine Schüler, Freunde und Fans hat er durch Geisterjahrzehnte geführt. Erst hat er die Psychoanalyse Jacques Lacans für die Literaturwissenschaft „operational“ gemacht, dann hat er Alan Turings Computer als Urphänomen unserer Gegenwart kenntlich gemacht. Und dann schiffte er sich ein zum Land der Griechen. Wie Nietzsche und Heidegger – und nur im Falle Kittlers ist dieser Vergleich nicht lächerlich – wollte er griechischer sein und denken als die Griechen. Dass das große, auf fünf Bände angelegte Spätwerk über Musik und Mathematik nun Fragment bleibt, macht seinen Tod besonders bitter.

Sein Ruhm hat einen Umweg über das Ausland genommen. Als ihn deutsche Professoren und Feuilletonchefs noch verspotteten, haben die Amerikaner und Skandinavier schon erkannt, dass sie es hier mit einem der größten Theoretiker der Medien zu tun haben, neben Marshall McLuhan. Wenigstens erkannten die zwei intelligentesten deutschen Verleger Kittlers Größe früh: Raimar Zons hat die meisten Bücher Kittlers für den Fink Verlag gewonnen, und Hubert Burda ermöglichte Kittler noch ein paar Semester seiner geliebten Lehre, nachdem ihn die Humboldt-Universität schon aussortiert hatte.

Man wird Friedrich Kittler natürlich vor allem als großen Medientheoretiker in Erinnerung behalten. In der Tat kreisen fast alle seine Texte um die Medien, den Krieg, die Mathematik und die Musik. Aber das Thema, das alles, was er je dachte und sagte, zusammenhielt, war die Liebe. In dem späten Griechenbuch steht sein schönster Satz: „Um zu lieben, müssen wir das Göttliche an dem Geliebten lieben, um Liebe anzunehmen, auch an uns.“

Norbert Bolz lehrt Medienwissenschaft an der TU Berlin.

Norbert Bolz

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