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Kultur: Nacht aus Tinte

Flüchtig: Manuele Fiors Friedrichshain-Comic „Menschen am Sonntag“

Es ist dunkel. Die Nacht gießt sich über die Stadt wie schwarze Tinte, nur der Regen im Scheinwerferlicht schneidet helle Striche ins Dunkelgrau der Häuserzeilen. Ein junger Mann, Italiener, irrt durch das menschenleere Viertel, auf der Suche nach einem versteckten Club. In einer Seitenstraße schält sich eine Gestalt aus den Schatten und öffnet eine Bodenluke: „Da rein!“ Eigentlich will der Italiener Fausto die Stadt verlassen. Doch am Ende des Tages wird alles anders sein.

Manuele Fiors soeben erschienener Berlin-Comic „Menschen am Sonntag“ spielt in Friedrichshain. Nachtbusse, sonntagsleere Plätze, die erste U-Bahn, Erwachen in einer fremden Wohnung: Mit saloppen Strichen wirft der Zeichner die Flüchtigkeiten einer langen Nacht aufs Papier, die sich bis in den Tag dehnt. Mit dem gleichnamigem Berlin-Film von 1929 hat das nur den Zeitraum gemeinsam: Film und Comic spielen an einem einzigen Tag.

Manuele Fior ist eine Entdeckung. Der 1975 in Udine geborene Norditaliener lebte sechs Jahre lang als Architekt in Berlin. Als Comiczeichner hat ihn der Verleger Johann Ulrich entdeckt, zunächst für sein Magazin „Plaque“. Auch „Menschen am Sonntag“ gibt Ulrich in seinem Avant-Verlag heraus – bei weitem nicht seine einzige Entdeckung. Den Verlag gründete der Bildgeschichtenenthusiast vor fünf Jahren in seiner Wohnung am Prenzlauer Berg. Damals hörte er auf der Frankfurter Buchmesse einen Vortrag über Autorencomics in Deutschland. „Das war eine deprimierende Bestandsaufnahme“, erinnert sich der heute 40-Jährige. Die inhaltlich anspruchsvollen oder grafisch aufwendigen Bildgeschichten erschienen damals in Frankreich und Italien. In Deutschland traute sich kaum ein Verleger an Kunstcomics heran.

Johann Ulrich war mit Comics aufgewachsen, zunächst mit den Sammelbänden „Zack“, später entdeckte er die italienischen Zeichner der Achtzigerjahre, die im Magazin „Dolce Vita“ erschienen: opulente Farbbände im Stile des italienischen Futurismus. Auf der Buchmesse lernte er den spanischen Künstler Rául kennen und entschloss sich, dessen Werke zu verlegen. In seiner Wohnung am Prenzlauer Berg gründete er den Avant-Verlag. Der Name ist Programm: Das Wort wird in Frankreich, Spanien und Italien ebenso verstanden wie hierzulande – womit die europäische Ausrichtung umrissen war.

Im Jahr 2001 erregten die ersten Lizenzausgaben in deutscher Sprache Aufsehen in der Szene: Das Album „Anita“ des Italieners Stefano Ricci wurde ein Prachtband. Tagebuchaufzeichnungen enthüllen fragmentarisch das Leben einer Frau, die in einem amerikanischen Diner arbeitet und das benutzte Geschirr der Gäste fotografiert. Die poetische Einsamkeitsstudie sticht mit ihrem pastosen Farbauftrag aus der eher grafischen Comiclandschaft hervor. Ricci klebte Acetatplatten auf Pappe, um seinen flächigen Farbschichten plastische Wirkung zu verleihen: Ein Comic, der aus Gemälden besteht. Ebenso anspruchsvoll arbeitet der Spanier Raúl, dessen Band „Berlin 1931“ (leider vergriffen) Ulrich ins Deutsche übertragen ließ: Die fiktive Geschichte vor dem Hintergrund der Straßenkämpfe politischer Extremisten greift auf Motive von Döblin und Horváth zurück.

Der monochrom getuschte Mafiacomic „5 ist die perfekte Zahl“ des Zeichners Igort wurde zum „Comic des Jahres“ gekürt. Trotz zahlreicher europäischer Veröffentlichungen, wie Joann Sfars erfolgreicher jüdischer Comicserie „Die Katze des Rabbiners“, bleibt der Avant-Verlag dem Thema Berlin treu, etwa mit dem aufwändig gebundenen Zeitungsstrip „Atak vs. Ahne“ (2002) im Querformat.

Mit Manuele Fiors impressionistischer Studie erscheint nun abermals eine Berlin-Geschichte. Sie zeigt die Stadt als Entwurf. Mit leichtem Strich schraffiert Fior Häuserzeilen. Wenn der Held Fausto auf der Suche nach einer illegalen Bar durch die Nacht irrt, drohen die Konturen verloren zu gehen. Das Stroboskop einer Tanzfläche schneidet die Sekunden in feine Streifen. Am Ende beschließt Fausto, in der Stadt zu bleiben. Sein Schöpfer Fior allerdings hat Berlin gerade verlassen, weil das Medium hier immer noch kaum Unterstützung erhält. Sein erstes großes Album zeichnet er nun in Oslo – mit finanzieller Förderung des norwegischen Staates.

Manuele Fior: Menschen am Sonntag. Aus dem Italienischen von Maya Della Pietra. Berlin: Avant-Verlag 2005. 50 S., 12 €. www.avant-verlag.de

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