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Kultur: Nahost-Krise: Der Krieg beginnt

Von Jerusalem nach Ramallah sind es an normalen Tagen rund 25 Minuten mit dem Taxi. Dieser Tage dauert es länger, weil kurz vor Ramallah der Krieg beginnt.

Von Jerusalem nach Ramallah sind es an normalen Tagen rund 25 Minuten mit dem Taxi. Dieser Tage dauert es länger, weil kurz vor Ramallah der Krieg beginnt.

Dort an der Grenze zwischen dem Westjordanland und Israel steht ein Hotel, in dem zur Zeit die meisten westeuropäischen Journalisten abgestiegen sind. Sie machen das, weil das Hotel besonders günstig liegt: Auf der Westseite der Straße steht das israelische Militär und riegelt die Straße ab; einmal am Tag kommen von der Ostseite her die Palästinenser und demonstrieren. Zu Tausenden kommen sie, werfen mit Steinen und Molotow-Cocktails. Nichts besonderes.

Am Donnerstag aber eskalierte der Konflikt. Es ist immer noch eine Steigerung möglich. In den frühen Morgenstunden fuhren vier Reservisten der israelischen Armee mit einem Zivilfahrzeug durch Ramallah. Sie wurden festgenommen von der palästinensischen Polizei und in eine Polizeistation gebracht. Doch die Polizisten konnten oder wollten die Soldaten nicht schützen vor dem aufgebrachten palästinensischen Mob. So nahm das Unheil seinen Lauf. Hunderte entfesselter Demonstranten umringten das Polizeigebäude mit Rufen "Allahu Akbar!" (Allah ist groß), und mehrere von ihnen verschafften sich mit Gewalt Zutritt zu dem Haus. Zwei Soldaten wurden von den Arabern gelyncht. Der ZDF-Reporter Stephan Merseburger konnte beobachten, wie die aufgebrachten Massen eine Leiche anzündeten sie brennend durch die Straßen zerrten. Über den Verbleib der anderen beiden Israelis war bis Redaktionsschluss noch nichts bekannt.

Die israelische Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Nur wenige Stunden später kreisten Militärhubschrauber über Ramallah und später auch über Gaza-Stadt. Das Polizeihauptquartier und das Büro von Palästinenserchef Jassir Arafat in der Autonomiebehörde gingen in Flammen auf - so berichteten es palästinensische Quellen. Arafat sprach daraufhin von einer "Kriegserklärung" der Israelis.

Israels Informationsminister Benjamin Ben Elieser, ein Vertrauter von Ministerpräsident Ehud Barak, hatte den Friedensprozess bereits kurz vor Beginn der dramatischen Ereignisse für "tot" erklärt. Israel befinde sich bereits "im Krieg mit den Palästinensern". Und Ehud Barak sagte nach dem Lynchmord lakonisch, man wüsste, was man nun zu tun hätte. Die Situation sei "ernst". Dann hoben die Helikopter in Richtung Westjordanland ab.

Was aber war tatsächlich in dem palästinensischen Polizeigebäude passiert? Warum konnten die Behörden ihre Gefangenen nicht schützen? Nach Augenzeugenberichten waren durch ein Fenster des Gebäudes mehrere Männer zu sehen, einer davon in der blauen Uniform der Palästinenser-Polizei, die offenbar auf die am Boden liegenden Soldaten einschlugen oder einstachen. Kurz darauf erschien einer der Angreifer am Fenster und signalisierte der Menge mit erhobenen Armen und zwei gespreizten Fingern das Siegeszeichen.

Im Grunde war diese Eskalation für die Beobachter vor Ort vorhersehbar. Denn seit Tagen schon befindet sich Ramallah im Ausnahmezustand. Auch wenn das offiziell anders heißt. Die Palästinenserführung hatte schon vor Tagen den Ladenschluss in Ramallah und Umgebung auf 13 Uhr vorverlegt. Das hatte zur Folge, dass die Jugendlichen, die sonst um diese Zeit noch arbeiten mussten, schon früher frei hatten und sich kurz nach 13 Uhr zu den routinemäßigen "friedlichen Demonstrationen" zusammenfinden konnten. Diese Demonstrationen wurden von Tag zu Tag immer emotionaler. Rund hundert Jugendliche, die Speerspitze der neuen Intifada, heizen diese Protestzüge mit ihren Aktionen immer wieder auf.

Die erste Gruppe zündet Autos an, die nachrückende wirft Molotow-Cocktails - und trifft dabei nicht selten die erste Gruppe. Und die dritte Gruppe steht dahinter und am Rand. Sie applaudiert, wenn doch einmal ein Sprengsatz sein Ziel findet.

Die Israelis beantworten diesen Krieg der Jugendlichen mit Gummigeschossen und scharfer Munition. Jeden Tag gibt es Verletzte, und sie sind aus Sicht der Palästinenser die neuen Märtyrer. Von ihren Konterfeis werden Poster gezogen und in Ramallah aufgehängt. Als Aufruf zur nächsten Demonstration.

Die palästinensische Polizei? Sie wartet rund einen Kilometer hinter der Grenze und schaut von dort und aus sicherer Entfernung dem Treiben zu. Für die Jugendlichen sind sie keine Bedrohung, sondern der verlängerte Arm des Volkszornes.

Die palästinensische Politik sah diesen Auseinandersetzungen an der Grenze bisher ebenfalls gelassen zu. Auch wenn sie in offiziellen Statements stets zur Mäßigung aufgerufen haben. Hinter vorgehaltener Hand geben die Palästinenser-Führer in Ramallah und Umgebung offen zu, dass ihnen diese neue Intifada durchaus Recht ist. Schließlich habe die erste Intifada zum Abschluss des Osloer Abkommens geführt.

Nun geht es um Ost-Jerusalem.

Robert Treichler[Benjamin Leonhardt]

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