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Kultur: Namensgebung: Meine Sprache

Über keine Wörter wird so viel nachgedacht und über keine so wenig reflektiert wie über Namen. Weniger über Familiennamen, mehr über Vornamen.

Über keine Wörter wird so viel nachgedacht und über keine so wenig reflektiert wie über Namen. Weniger über Familiennamen, mehr über Vornamen. Es ist bekanntlich schwer und oft auch teuer, den Familiennamen zu ändern; ebenso wenig neu ist wohl, dass unsere Vorfahren gern nach ihren Berufen genannt wurden. Einigermaßen erstaunt war ich aber doch, im "Sprachdienst" zu lesen, dass noch heute unsere am häufigsten vorkommenden Familiennamen solche Berufsnamen sind: Müller, Schmidt, Meyer, Schneider, Fischer, Weber, Becker, Wagner, Schäfer, Schulz. Allmählich wird es sich ändern dadurch, das die Zahl der Deutschen wächst, deren Großeltern nicht deutschsprachig waren. Der global häufigste Familienname ist Wang. Lauter Chinesen? Keineswegs. Wang heißt auch ein kein bisschen asiatisch aussehender schwäbischer Kollege. Dennoch verändern sich die Familiennamen im Vergleich zu den Vornamen nur langsam. Von den zehn meistgebrauchten männlichen Vornamen des Jahres 1980 gab es 1995 nur noch zwei: Daniel und Tobias. Bei den weiblichen gar ist nur Julia geblieben. Dabei lief auch hier zunächst alles ruhig und gemächlich. Die Kinder wurden nach der Mutter oder nach dem Vater, nach dem Patenonkel oder der Patentante getauft. Auf einmal änderte sich das. An die Stelle von Verwandten traten Freunde, Vorbilder, Filmhelden, Moden. Zwei Tendenzen lassen sich ohne langes Studieren erkennen.

Im Osten Deutschlands tauchen nach 1995 Namen auf, die im Westen zu Hause waren, wenn auch nie den gleichen Beliebt-heitsgrad erreicht haben: Florian, Felix, Sebastian, Kevin; Sarah, Jessica, Francisca, Jennifer. Sehr viel schwerer fällt es mir, das folgende Paradoxon zu erklären: Von den acht männlichen Vornamen, die 1995 am meisten gebraucht wurden, sind alle acht biblischen oder wenigstens christlichen Ursprungs. Und das in einer Zeit, in der das Christentum doch offenbar an Anziehungskraft verliert.

Da heißen sie Michael (hebräisch: "Wer ist wie Gott?"), Daniel (hebräisch: "Mein Richter ist Gott"), von all den Johannessen (hebräisch: "Gott ist gnädig") nicht zu reden, ob sie nun "Jean", "John" oder "Giovanni" heißen; dazu Stephan, Lukas, Tobias, Markus oder Christian. Bei den Mädchennamen wird deutlich, dass sie in der Bibel seltener sind. Oft half man sich, indem man den Männern eine weibliche Endung gab: Stephan - Stephanie, Nicolai - Nicola, Daniel - Daniela. Die drei großen Heiligen dürfen nicht fehlen: Katharina, Elisabeth, Margareta. Und um auch hier auf acht zu kommen, wird in der Liste des "Sprachdienstes" die Mutter Gottes gleich zweimal verzeichnet, einmal als Maria und einmal als Marie.

Wenn ich mir Namensregister von heute ansehe, dann regt sich die Vermutung, dass in zehn Jahren unsere Listen ganz anders aussehen werden. Aber die jetzt schon weltweit vorherrschende Mary wird ihre Spitzenstellung halten. Da hat sich seit Shakespeares Zeiten nichts geändert.

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