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Kultur: „Nationalstaaten sind Swimmingpools der Seele“

Ein Vertriebenen-Denkmal für Deutsche und Tschechen? Die EU-Erweiterung ein Glücksfall? Der Dichter-Diplomat und neue PEN-Präsident Jiri Gruša im Gespräch

Herr Gruša, Sie sind Dichter und seit der „Samtenen Revolution“ in Prag, an der Sie zusammen mit Ihrem Freund Vaclav Havel starken Anteil hatten, auch Politiker. Schon das ist ungewöhnlich. Aber letzten November wurden Sie in Mexiko auch zum Präsidenten des Internationalen PENClubs gewählt – als Botschafter der Republik Tschechien in Wien.

Ja, und das lässt sich im Grunde nicht miteinander vereinbaren.

Diplomat und Dichter-Präsident, der sich mit Regierungen anlegen soll, die Schriftsteller verfolgen und die Freiheit einschränken?

Mir war dieser Konflikt sofort klar, und deswegen habe ich die Wahl in Mexiko nur angenommen, weil ich als Diplomat demnächst aufhöre. Ein Botschafter hat zwar auch seine Freiheit, aber letztlich muss er doch die Meinung seiner Regierung vertreten. In wenigen Tagen bin ich nur noch Präsident! (lacht)

Am Sonntag endet Ihre Amtszeit als Botschafter Tschechiens in Österreich. Und ab 1. März dürfen Sie völlig frei reden.

Das tue ich schon jetzt. Es wird deswegen wohl keine Regierungskrise mehr geben.

Beteiligt am Prager Frühling 1968, wurden Sie als Dissident verfolgt, waren mit Havel einer der Initiatoren der auf politische Freiheit drängenden „Charta 77“, wurden ausgebürgert und lebten ab 1981 im Exil in Deutschland. 1990 wurden Sie Botschafter in Bonn, später auch Bildungsminister: Hat Sie dieser Rollenwechsel verändert?

Wir ändern uns immer und entkommen uns dann doch nicht. Ich habe mich nie als Berufspolitiker gefühlt und war nie Mitglied einer politischen Partei. Aber ich bin von Havel ernannt worden – und unser Weg nach der Wende folgte der Route, auf der wir 20 Jahre zuvor gemeinsam aufgebrochen waren. Wir wollten eine nicht nationalistische, auf den Menschenrechten basierende Idee in praktische Politik verwandeln. Und mir persönlich ging es auch um die Neugestaltung des historisch belasteten deutsch-tschechischen Verhältnisses.

Sie sind mit einer Deutschen verheiratet...

Ja – und ich gehörte zu den ersten, die eine deutsche Wiedervereinigung vorausgesagt haben. Ich wurde vom Bayerischen Rundfunk um einen Beitrag zum 40. Jahrestag des Kriegsendes gebeten und habe daraufhin einen Beitrag geschrieben, in dem ich sagte, die Bundesregierung wird bei der Wiedervereinigung demnächst nach Berlin ziehen. Und ihr erster Beschluss wird dort sein, wieder zurückzuziehen nach Bonn, aus Dankbarkeit. (lacht) Der Redakteur fragte ganz entgeistert: Ist das ein Witz? Das war 1985.

Nach dem Scheitern des Prager Frühlings haben Sie auf die Menschenrechte und nicht mehr auf die nationale Selbstbestimmung gesetzt?

Nur die universellen Menschenrechte konnten wir der universalistischen Monomanie des Kommunismus entgegensetzen. Es war für uns im Zustand völliger Entrechtung und Ohnmacht eine kühne Behauptung: dass dem aufrecht gehenden Affen unbedingte, überall geltende Freiheitsrechte zustehen. Zugleich bedeutete es eine Zäsur in der tschechischen Geschichte, weil ein eher weltoffenes, angelsächsisch-französisches Freiheitsprinzip gegen die Traditionen des mittel-osteuropäischen Nationalismus gesetzt wurde. Diese Zäsur war in unserem mehrfach geschlagenen, nie zum richtig starken Nationalstaat gewordenen Land vielleicht eher möglich als in Polen oder Ungarn, wo die Nationalismen tiefer verwurzelt sind.

Umso mehr muss es Sie geschmerzt haben, dass die ökonomisch relativ stabile und im Nachwende-Europa als Demokratie eines Schriftsteller-Präsidenten gefeierte Tschechoslowakei in zwei Teilstaaten zerbrochen ist.

Es hat mich sehr geschmerzt. Aber wir hatten auch die Erfahrung, dass unsere Erneuerung vor allem von den Tschechen betrieben wurde. Schon an der Charta 77 hatten Slowaken kaum Anteil. Andererseits war der Kommunismus in der Slowakei ein tschechischer Import. Also sollten auch wir mit unseren Vorwürfen vorsichtig sein. Inzwischen aber hält sich selbst bei den slowakischen Nationalisten der Stolz auf ihren Staat in Grenzen. Der Separatismus wurde lanciert, hätte es darüber eine Volksabstimmung gegeben, wären wir heute noch beisammen.

Bald sind Sie gemeinsam in der EU.

Es funktioniert auch jetzt schon ganz gut: Wir haben praktisch offene Grenzen, unsere Sprachen sind ähnlich, wir sind wirtschaftlich eng verflochten, im Grunde brauchen wir nur wieder einen etwas größeren Rahmen – vor allem wirtschaftlich. Wir haben uns ja nicht halbiert, sondern geviertelt. Wenn die Tschechoslowakei einen Schritt zu tun hatte, müssen Tschechien und die Slowakei jetzt jeder zwei Schritte tun, das sind zusammen vier. Die Teilung war wirtschaftlich unklug und nur psychologisch sinnvoll.

Warum?

Weil die Nationalstaaten in Europa noch immer emotionale Bassins sind. Sie haben in Zeiten der Globalisierung wirtschaftlich und meist auch militärisch keine Bedeutung mehr. Aber die Staaten sind die Swimmingpools der Seele. Selbst die Kleinen können darin das Wasser selbst temperieren. Man darf untereinander nur nicht in den Tribalismus zurückfallen wie in den Balkan-Kriegen.

Im nationalen Seelenbad sinkt die Temperatur gelegentlich durch das Außenklima. Ziemlich kühl wird es zwischen Tschechien und Deutschland, wann immer die Vertreibung der Sudetendeutschen angesprochen wird. Und nun gibt es Bestrebungen, ein Mahnmal für die deutschen Vertriebenen zu errichten und ein Zentrum gegen Vertreibungen zu gründen.

An diesem Punkt gibt es noch historische, psychologische Verkrampfungen, und es besteht die Chance, dass sich manches in einem gemeinsamen Europa von selber löst. Wenn man sich allerdings nicht bald auf die künftige Verfassung einigt und in der erweiterten EU ein Stillstand oder Rückschläge folgen, dann werden die Reibungen zunehmen. Nun zu den Denkmal-Plänen: Natürlich sollen auf jeder Seite die Verletzungen anerkannt und der kollektive Schmerz auch ausgedrückt werden. Nur müssen wir dann auch sehen, was der anderen Seite zugefügt wurde. Der Zweite Weltkrieg ging von Deutschland aus, die 50 Millionen Opfer waren in der großen Mehrheit keine Deutschen – wollen wir in Europa nun einen neuen Wald von Mahnmalen, wollen wir 50 neue Kriegs- oder Antikriegsmuseen? In London der Waterloo-Bahnhof und in Paris der Austerlitz-Bahnhof: Das bedeutete, die eigene Geschichte immer als Anti-Geschichte gegen andere zu sehen. Ein Denkmal, das dies alles mal bedenkt, existiert noch nicht.

Und ein Mal, das der eigenen und aller anderen Vertreibungen gedenkt, verbunden mit einem europäischen Forschungs- und Dokumentationszentrum, wo könnte das stehen?

Darüber habe ich noch nicht nachgedacht. Aber die Ausgangsidee klingt nicht schlecht.

Wäre Berlin dafür ein denkbarer Ort?

Wahrscheinlich gehört eine solche Einrichtung in die Mitte Europas. Aber bevor man über den Ort spricht, müsste erst einmal geklärt werden, wer hier für wen welche Geschichte erzählt. Was Sie andeuten, klingt eher nach einem EU-Projekt als nach einem deutschen Alleingang.

Birgt das bisher größte EU-Projekt, die bevorstehende Ost-Erweiterung, für Sie außer Hoffnungen auch besondere Risiken?

Ich sehe nur Risiken, wenn die Integration zu lange dauert. Dann wachsen an den Rändern die nationalistischen Fliehkräfte. Schon jetzt meinen viele, wir wollen nicht wie ein Stück Zucker im Kaffee aufgehen. Ich sage dann: So merken die anderen wenigstens, wie süß wir sind! Eine Gefahr ist, dass nicht sofort alle wirtschaftlichen Hoffnungen erfüllt werden und in den Beitrittsländern die Ostalgie wächst , wie in der Ex-DDR. Die Demokratien in den vormals kommunistischen Ländern haben noch keine entsprechende politische Kultur, keinen aufgeklärten Demos als verantwortliches Subjekt hervorgebracht. Doch das Risiko, diese Länder nun mit sich allein außerhalb der EU zu lassen, wäre für alle Seiten größer als jede neue Spannung innerhalb der EU. Ich spreche da als erfahrener Pessimist.

Oder als optimistischer Pessimist?

Auch gut.

Wo steht nun die Republik Tschechien im ungelösten EU-Konflikt um die Stimmgewichtung der einzelnen Staaten?

Das sehen wir ganz pragmatisch. Die Vereinbarung von Nizza war besser für die kleineren Länder als der jetzige Verfassungsentwurf. Wenn es aber mit Nizza nicht klappt, dann möchten wir auch mit weniger Stimmen bei den Kern-Europäern dabei sein.

Fast nirgendwo mehr dabei war in den letzten Jahren der internationale PEN-Club, das Weltparlament der Schriftsteller. Von ihm hat man seit den Protesten in der iranisch-britischen Ruhsdie-Affaire kaum mehr etwas gehört.

Sie haben Recht, und das möchte ich jetzt ändern. Nächste Woche beziehe ich meinen neuen Schreibtisch und das Büro in London.

Als PEN-Präsident erwarten Sie jede Menge Herausforderungen: Der seit dem 11. September beschworene Dialog der Kulturen findet kaum statt, im islamischen Raum schon gar nicht. Gerade triumphieren im Iran wieder die Konservativen. Oder Europa: Nachdem sich Brüssel zwar um jede Käsesorte und jedes Bierkartell kümmert, nur nicht um das Medienkartell des letzten EU-Ratspräsidenten – könnte sich da nicht der PEN mal um die Meinungsfreiheit im europäischen Kernland Italien sorgen?

Die Kontrolle, die kritische Reflexion von Medienmacht und -Missbrauch wird eine unserer dringlichen Aufgaben sein, ebenso der Dialog der Kulturen. Wir haben aber auch islamische Mitglieder und den Konflikt zwischen der europäischen Aufklärung, deren Maxime die Freiheit ist, und religiösen Kulturen, deren Maxime Gehorsam heißt. Da müssen wir zunächst einen gemeinsamen Nenner suchen – der könnte lauten: Keine Seite hat einen absoluten Anspruch auf Wahrheit. Also kann ich ein Glaubensgebot befolgen und selbst einen Schador tragen. Aber ich kann es nicht von anderen verlangen.

Das Gespräch führte Peter von Becker .

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