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Kultur: Neapel sehen und beten

Andrej Longos leuchtende Geschichten: „Zehn“

Zehn“ ist kein besonders einfallsreicher Titel für einen Band mit zehn Erzählungen – doch anders als die deutsche Schauspielerin Franka Potente, die übernächste Woche mit zehn Geschichten als Autorin debütiert und darin die Eindrücke ihrer zahlreichen Japanaufenthalte aufbereitet, hat sich der römische Schriftsteller Andrej Longo bei der schlichten Titelgebung seines Buches was gedacht. Jede der Geschichten aus dem harten, manchmal sehr hoffnungslosen und von der Camorra entscheidend mitbestimmten Alltagsleben Neapels ist überschrieben mit einem der zehn Gebote, von „Du sollst keine anderen Götter neben mir haben“ bis zu „Du sollst nicht begehren deines Nächsten Hab und Gut“. Das Problem dabei: In Neapel kommt das Befolgen der zehn Gebote der Quadratur des Kreises gleich.

Longo erzählt von einem sehr jungen schwangeren Mädchen, das abtreiben will, von einem erfolgreichen Sänger, der den Drogen verfällt, von einem Ehepaar, das nur an einem Tag in der Woche wirklich zusammenlebt, da der Mann in einer anderen Stadt arbeitet. Und er erzählt von einem Jungen, der einen alten Mann überfällt und fast umbringt. Nach einem langen Krankenhausaufenthalt fragt das Opfer den Täter bei einer zufälligen Begegnung: „Brauchst du noch mehr Geld?“ Das wirft den Jungen komplett aus der Bahn, da er die Welt nicht mehr in Starke und Schwache einteilen kann. Am eindrücklichsten, wuchtigsten ist vielleicht die Geschichte, in der ein Killer, hinter dem ihrerseits die Camorra her ist, mit seinem kleinen Sohn auf den Rummelplatz geht: „Warum kann ich nicht so werden wie du?“, fragt der Sohn. Und der Vater weiß, dass er nichts für ihn tun kann, „nur noch hoffen, dass er nicht so wird wie ich. Das ist alles“.

Man merkt bei diesen Sätzen, wie abgerüstet Longos Sprache ist, wie wenig Worte der gelernte Drehbuchautor benötigt, um größtmögliche Effekte zu erzielen. „Wenn Literatur nicht bei denen bleibt, die unten sind, kann sie gleich als Partyservice anheuern“, hat Jörg Fauser einmal gesagt. Andrej Longo hat sich das zu Herzen genommen. Partys feiern ist seine Sache nicht. Er bleibt lieber unten bei den Menschen und leuchtet ihn mit seiner Prosa den Weg. Gerrit Bartels

Andrej Longo:Zehn. Aus dem Italienischen von Constanze Neumann. Eichborn Verlag, Eichborn 2010.

154 Seiten, 18 €.

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