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Neil Young am Donnerstagabend in der Waldbühne

© Thilo Rückeis

Neil Young in Berlin: Grüner Rock'n' Roll

Rocken im digitalen Zeitalter, in einer immer unfreieren Welt: Neil Young und Promise of the Real spielen unbeirrt in der Berliner Waldbühne.

Es ist ein seltsamer Anblick, der sich gut eine Stunde vor dem Beginn von Neil Youngs Konzert in der Waldbühne bietet. Sechs Blumentöpfe stehen da schön in der Reihe vor der Bühne, nicht besonders groß, aber unübersehbar. Stehen die dort eigentlich immer? Oder sind sie ein gezielter Hinweis darauf, dass sich Neil Young in jüngerer Zeit mit gleich zwei Albumveröffentlichungen noch einmal verstärkt als grüner Rock’n’ Roller präsentiert hat? Mit dem brandneue Young-Songs featurenden Studioalbum „The Monsanto Years“ von 2015 sowie dem Live-Album „Earth“, das vor ein paar Wochen veröffentlicht wurde und ein thematischer Streifzug durch das Young-Werk ist unter besonderer Berücksichtigung von Mutter Erde.

Nein, die Blumentöpfe sind wohl Youngs ganz eigene Visuals an diesem Donnerstagabend. Darauf deuten die beiden Frauen mit Strohhüten, gelben Handschuhen, Jeans und Holzfäller-Farmerblusen hin, die was auch immer auf der Bühne ausstreuen - bevor Neil Young zunächst allein und in schwarzem Outfit und mit "Earth"-T-Shirt die Bühne betritt und sich an sein Klavier setzt. Und genauso zeigen das die drei Gestalten, die nach dem vierten Stück des Abends auftreten, nach „Mother Earth“, und in weißen Schutzanzügen und mit Schutzbrillen so tun, als würden sie Insektizide, Pestizide oder sonstwas Umweltfeindliches versprühen.

Neil Young ist ökologisch superkorrekt

Willkommen beim Neil-Young-Themenabend also, es fehlen nur noch die Tiere, deren Stimmen die Songs auf „Earth“ miteinander verknüpfen, quakende Frösche, summende Bienen, wiehernde Pferde. Das wäre wohl des Aufwands vermutlich des Guten zuviel gewesen, zumal ansonsten an diesem wunderbaren Sommerabend wie üblich bei Neil-Young-Auftritten Schmucklosigkeit Trumpf ist. Es gibt keine Leinwände rechts und links der Bühne, keinen Steg in den Publikumsinnenraum hinein, keine Videos, die im Bühnenhintergrund laufen, nichts. Nur Neil Young, der zunächst mit „After The Goldrush“, „Heart Of Gold“, „The Needle And The Damage One“ und „Mother Earth“ vier Stücke ganz allein bestreitet, am Klavier oder mit der akustistischen Gitarre, dazu mit der Mundharmonika. Und seine fünfköpfige Band Promise of the Real, in der zwei Söhne von Willie Nelson spielen, die Band, die mit ihm „The Monsanto Years“ eingespielt hat. Mit dem Album gehen sie und natürlich besonders Neil Young den amerikanischen Agar-Großkonzern Monsanto, aber auch andere global agierende Unternehmen wie Starbucks oder Shell direkt an. (Was deren Mitarbeiter übrigens gar nicht so amüsiert, sondern verärgert hat, sind eben doch einige Neil-Youngs-Fans unter ihnen).

Der ultimative Höhepunkt ist "Down By The River"

Die Konzentration dient der Musik und den Lyrics von Young gleichermaßen. Wobei auffällt, wie gut der fast 71-Jährige bei Stimme ist – und wie gut man ihn auch versteht. Was vielleicht daran liegt, dass dieses Konzert eines der ruhigeren, gemächlicheren ist, mit gewissen Steigerungen nach hinten raus, eben kein Crazy-Horse-Konzert, wenngleich Promise of the Real mit ihrem elaborierten Gitarre-Bass-Schlagzeug-Spiel im Vergleich keineswegs abfallen. Und es ist ein Konzert, das im folgenden ohne wirkliche Evergreens von Young auskommt, das erstmal starke Country- und Folk-Einschläge hat. Mit seiner Band spielt er zunächst weiterhin ruhige Stücke wie „Unknown Legend“ von „Harvest Moon“, „Human Highway“ von „Comes A Time“ oder „Are You Ready For The Country“ von „Harvest“, und so richtig scheint die 18 000 Menschen noch nicht dabei zu sein. Das Lauschen im weiten Waldbühnenrund ist ein andächtiges, ehrfürchtiges, die engagierten Luftgitarrenspieler auf den Rängen kommen erst später zum Zug, eigentlich erst nach anderthalb Stunden, zu „Down By The River“. Das Stück dauert auf dem Album, dem zweiten übrigens von Young, 1969 erschienen, knapp zehn Minuten, wird aber von Young und den Seinen in der Waldbühne auf mindestens zwanzig Minuten, gefühlt eher eine halbe Stunde gedehnt.

Vier Männer, die auf einmal ganz, ganz nah beieinander stehen, die mit dem Kopf nach unten und dem einen oder anderen Ausfallschritt ihre Gitarren und den Bass bearbeiten, die sich auf jede einzelne Tonfigur konzentrieren, dabei unüberhörbar Youngs stockendes, tastendes, jaulendes Gitarrenspiel – all das hat auf den ersten Blick etwas zutiefst Anachronistisches. Was machen die denn da? Rock’n’ Roll in Reinform. Aber ist der nicht doch ziemlich tot, Youngs Beschwörung von ehedem, „Hey, hey, my my, Rock’n’ will never die“ zum Trotz? Leben wir nicht im digitalen Zeitalter?

Ist Young eigentlich ein Anachronist? Oder nicht doch wertvoller denn je?

Und dann steht oder sitzt man hier und hört diesen analogen Sounds zu, einem komplett analogen Musiker wie Young, der das Landleben und die Schönheiten der Natur hochleben lässt und die Land- und Naturzerstörer anklagt und beim Namen nennt. Der einerseits so recht hat, mit seinem Eigen- und Starrsinn, der andererseits wie aus einer anderen Zeit kommt und trotzdem so nowtro ist? Der zum Beispiel auf die Streaming-Dienste schimpft, weil sie den Charakter von Alben zerstören, gar die Länge von Songs am liebsten vorschreiben würden, wie er meint – und der sich nichtsdestotrotz von Tidal, dem Streaming-Portal von Jay-Z und anderen Musikern, sein Live-Album „Earth“ schön promoten lässt, inklusive einer zweiwöchigen Aktion in der New Yorker Subway, bei der aus dem S-Train der Earth-Train wurde, mit gemalten Bäumen, Wolken, Himmel innen und außen. Solche Widersprüche haben Young jedoch noch nie gestört: Kleinkram! Er weiß, was er will!

Rocken in der freien Welt - und in der digitalen Unfreiheit

So wie Young und Promise of the Real „Down By The River“ spielen, ja, zelebrieren, ist es der ultimative Höhepunkt dieses Konzerts: pure Kontemplation, Kiffers Delight. Gestört wird das Ganze irgendwann nur durch das (tatsächlich erstmalige) Mitgeklatsche des Publikums – ob es das in jüngeren Jahren auch bei Young-Konzerten getan hat: Klatschen, wie bei „Wetten, dass...“ oder Pur oder Grönemeyer? Young und die Seinen wissen diese seltsame Störung glücklicherweise durch weitere Noise-Verstärkungen zu unterbinden.

Und der Rest ist quasi Ausschwimmen oder eben: Ausspielen, eine weitere Stunde. Vor allem kommen jetzt Stücke von „The Monsanto Years“: das oberflächlich schunkelige, aber böse „People Want To Hear About Love“, auch der Titelsong des Albums, der sich unbarmherzig in die Gehörgänge fräst, oder das kitschige „Wolf Moon“, das anzeigt, dass es an diesem Abend mit der Erlösung durch immer schnelleren, lauteren, quälenderen Rock nichts mehr wird. Als allerletzten Song des zweidreiviertel Stunden dauernden, zugabenlosen Sets gibt es „Rockin’ In The Free World“, und beim Hören weiß man: Nie war diese Beschwörung so richtig, so wertvoll wie heute. Und wie gut, dass Neil Young unbeirrt weiter- und weitermacht.

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