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In Amtsgeschäften. Präsident Roosevelt (Bill Murray).

© Nicola Dove

Neu im Kino: Der Pyjama-Präsident

Bei Roosevelts zuhause: Roger Michells „Hyde Park am Hudson“ zelebriert die Schlüssellochperspektive auf einen der charismatischsten amerikanischen Präsidenten - und degradiert Weltgeschichte zum bloßen Hintergrund für Liebeshändel.

Der Präsident sitzt im Rollstuhl. Er hat mehrere Geliebte und eine lesbische Ehefrau. Und er bekommt Besuch von dem berühmten britischen König mit der Sprachhemmung. Eigentlich ein hübscher Stoff, aus dem sich ein hübsches Drehbuch drechseln ließe – zumal wenn man mit Letzterem den versierten britischen Dramatiker und Librettisten Richard Nelson beauftragt. Eigentlich.

Immerhin geht es um Franklin Delano Roosevelt, einen der charismatischsten amerikanischen Präsidenten – und damit um jenen, der am längsten im Amt war: von 1933 bis zu seinem Tod 1945. Kurz vorher war er bereits für eine vierte Amtsperiode wiedergewählt worden. Roosevelt führte sein Land mit einem unter dem Stichwort „New Deal“ zusammengefassten Bündel volkswirtschaftlicher Maßnahmen aus der Depression heraus, und er entschied über den Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg. Dass er durch eine Polio-Erkrankung gelähmt war und sich nur mühsam an Krücken fortbewegen konnte, trug zu seiner Popularität bei: Karrieren „against all odds“, gegen alle Widrigkeiten, sind in den Vereinigten Staaten häufiger als in Europa. Roosevelts Frau Eleanor ihrerseits war ebenfalls politisch engagiert, setzte sich für Frauenrechte und gegen Rassentrennung ein und vertrat die Politik ihres Mannes aktiv mit.

Geradezu unerschöpflichen Stoff eigentlich bieten diese beiden Biografien, offenbar jedoch nicht genug für „Hyde Park am Hudson“. Also werden sie mit einer dritten, ebenso ungewöhnlichen verknüpft, jener des britischen Königs George VI. – der Vater der Queen wurde 2010 in Tom Hoopers Oscar-Sieger „The King’s Speech“ bereits meisterlich porträtiert. Auch dem Besuch des Königspaars auf dem Landsitz des Präsidenten im Sommer 1939 hätte man einiges Erzählenswerte abgewinnen können. Der Zweite Weltkrieg stand kurz bevor, und die inoffizielle und deshalb in privater Umgebung zelebrierte Zusammenkunft diente allein dem Zweck, die USA als Bündnispartner in dem von England bereits antizipierten Konflikt mit Deutschland zu gewinnen.

Doch auch davon findet sich nichts in „Hyde Park am Hudson“. Stattdessen inszeniert Regisseur Roger Michell („Notting Hill“, 1999) Amouren, buchstäblich aus der Schlüssellochperspektive, dazu von reichlichem Alkoholgenuss beförderte Männerbündelei, mit einem sich mühsam gegen die Belanglosigkeit des Drehbuchs stemmenden Bill Murray als Roosevelt. Drumherum agiert ein Ensemble aus zweitklassigen Schauspielern, die sämtlich in ihren historischen Kostümen arg unglücklich wirken.

Wie armselig. Weltgeschichte dient einmal mehr im Kino als bloßer Hintergrund für Liebeshändel, und der investigative Rechercheimpuls der Filmemacher erschöpft sich darin, zu zeigen, dass auch ein König Schlafanzüge trägt und auch ein Präsident unter der Fuchtel einer dominanten Mutter stehen kann. Als Leitfigur führt Cousine Daisy (Laura Linney) durch das Geschehen, eine der Gespielinnen des Präsidenten. Dass sie, beliebig abrufbar, immer wieder in ihr bescheidenes Dasein als Pflegerin einer tyrannischen Tante zurückgeschickt wird, verstärkt die ein wenig hämische Kleine Leute-Perspektive des Films. Dafür aber muss man nicht ins Kino gehen. Die liefert das Fernsehen mit seinen immer wieder variierten Selektions- und Wettbewerbsformaten täglich frei Haus.

Blauer Stern Pankow, Cinema Paris, Cinemaxx, Kant und Kulturbrauerei; OV: Cinestar SonyCenter; OmU: Hackesche Höfe und Neues Off

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