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Küssen, kiffen - und gegen die Atombombe demonstrieren. Rosa (Alice Englert) und Ginger (Elle Fanning) sind schon im gleichen Krankenhaus geboren und laufen am liebsten im Partnerlook herum.

© Concorde

Neu im Kino: Die Zertrennlichen

Poesie und Protest: eine Jugend in London, im Schatten der Kubakrise. Die britische Regisseurin Sally Potter verwebt in ihrem zartbitteren Freundinnen-Drama „Ginger und Rosa“ das Private mit dem Politischen.

Die Kubakrise ist nichts dagegen. Da wachsen die Mädchen in innigster Freundinnen-Eintracht auf, die rothaarige Ginger mit der porzellanbleichen Haut und die wilde Rosa, die Ginger das Kiffen und das Küssen beibringt. Da rebellieren beide gegen ihre Mütter, himmeln Gingers Daddy an, Roland, den schriftstellernden Pazifisten, der als Weltkriegsdienstverweigerer im Knast saß und nach dem zigsten Ehekrach in eine WG zieht. Da machen beide erste Demo-Erfahrungen, liebäugeln mit der Friedensbewegung, sind jung, schön, unzertrennlich – und nun das. Rosa, die schon immer etwas verwegener war, flirtet beim Segelturn mit Gingers Vater, wird seine Geliebte. Für Ginger bricht eine Welt zusammen. Der Kalte Krieg spitzt sich zur akuten atomaren Bedrohung zu, weit schlimmer sind die Geräusche aus dem Bett im Zimmer nebenan.

London, 1962. Backstein-Arbeiterviertel, Kleinbürgertum, untreue Männer, frustrierte Ehefrauen, Parkas und toupierte Frisuren, Poesie und Protest, Anarchie und Apokalypse. Ginger und Rosa treffen sich zwischen Schutthalden vor einer alten Gasfabrik, die Stadt ist hier Brache. Regisseurin Sally Potter, die sich mit außergewöhnlichen Frauenfilmen einen Namen machte („Orlando“, „Tango Lessons“) fängt die Nachkriegszeit wie in einer Blase ein, als fragmentierten, zartbitteren Retro-Traum.

Nahaufnahmen, stilisierte Totalen, malerisch blätternder Putz und ein Nachtclub-Soundtrack mit Miles Davis, Thelonious Monk, „Take Five“ – Potters Filme tendierten schon immer zum Kunsthandwerklichen. Der zigste Close-up auf Gingers rotes Haar im Gegenlicht, wenn die Dichterin in spe frühe Verse notiert, muss das sein? Den Eigensinn der Jugend – die Regisseurin war 13 im Jahr der Kubakrise – fängt der Film jedoch allemal ein. Und die Zerbrechlichkeit der Pubertät, wenn Ginger Rosas Locken bügelt oder sie zum Opfer der Freiheit wird, die der Vater sich nimmt. Anders als etwa Oskar Roehlers „Quellen des Lebens“ kommt „Ginger und Rosa“ ohne Bashing aus, bei allem Befremden über das fehlende Verantwortungsbewusstsein der Eltern. Beide Generationen sind überfordert.

Rosa will Roland retten, mit ihrer Liebe. Ginger will die Welt retten, mit ihrem Anti-Atom-Engagement: Überdeutlich zeichnet der Film die psychologischen Motive für Gingers Politisierung. Seinen Charme verdankt er gleichwohl den Hauptdarstellerinnen, Elle Fanning als sanft-rebellischer Ginger und Alice Englert (Jane Campions Tochter, die gerade auch in „Beautiful Creatures“ zu sehen ist) als zunehmend verschlossener Rosa. Auch die Nebenfiguren sind nicht ohne. Timothy Spall als Gingers schwuler Patenonkel bildet mit Lebensgefährte Oliver Platt und Dichter-Freundin Annette Benning ein köstliches Trio, das zum Zeitkolorit der Sixties die Debattierfreude der Intellektuellenzirkel beisteuert.

Christina Hendricks, die superattraktive Sekretärin aus der Serie „Mad Men“, spielt übrigens Gingers Mutter, eine verhärmte Hausfrau, die ihrer abgebrochenen Karriere als Malerin nachtrauert. Wieso Vater Roland überhaupt auf die Idee kommt, eine derart unwiderstehliche und ja ebenfalls künstlerisch ambitionierte Partnerin sitzen zu lassen, bleibt sein Geheimnis.

In Berlin in den Kant Kinos, Kino in der Kulturbrauerei, Moviemento, OmU: Hackesche Höfe, Odeon

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