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Vladimir Jurowski und Robin Ticciati

© Sheila Rock/Marco Borggreve

Neue Chefdirigenten beim DSO und RSB: Doppelt klingt besser

Berlin hat gleich zwei neue Chefdirigenten: Robin Ticciati übernimmt das Deutsche Symphonie-Orchester. Vladimir Jurowski leitet künftig das Rundfunk-Sinfonieorchester.

Geteilte Freude ist doppelte Freude. Gleich zwei gewichtige Personalien hat das Kuratorium der Rundfunkorchester und -chöre GmbH (ROC) am Donnerstag abgesegnet: Beim Deutschen Symphonie Orchester folgt Robin Ticciati zum Herbst 2017 auf Tugan Sokhiev, der nach nur vier Jahren Berlin verlässt. Sokhiev war die Leitung des Moskauer Bolschoi Theater angetragen worden war, weshalb er sich dazu durchringen musste, eine seiner beiden Chefpositionen aufzugeben – er entschied sich, seinem Orchester im südfranzösischen Toulouse treu zu bleiben.
Und Vladimir Jurowski wird beim Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin Nachfolger des hochverehrten Marek Janowski, ebenfalls ab 2017. Janowski hatte sich nach 14 Jahren intensiver Arbeit entschlossen, den Posten aufzugeben, bevor sich zwischen ihm und den Musikern Routine einstellt.
Nach den beiden Maestri kommen nun also zwei der interessantesten Interpreten der jüngeren Generation zur ROC. Wobei der 43-jährige Jurowski eigentlich ein alter Bekannter ist. Von 1997 bis 2001 wirkte er als Erster Kapellmeister an der Komischen Oper, hat erst jüngst wieder an dem Haus dirigiert und viel Lob für eine packende Produktion von Schönbergs „Moses und Aron“ geerntet. Neben dem RSB dirigierte Jurowski in Berlin außerdem bereits die Philharmoniker und das Konzerthausorchester.
Robin Ticciati, Jahrgang 1983, stand hingegen erst ein einziges Mal auf einem Podium in Berlin, als er im September 2014 mit dem DSO Bruckners „romantische“ Sinfonie sowie Benjamin Brittens Cellokonzert erarbeitete. „Die Chemie stimmte von der ersten Begegnung an“, erklärte Orchestervorstand Matthias Kühnle gestern: „Die gemeinsame Probenphase und die Aufführung blieben uns nachhaltig in Erinnerung und geben uns heute die Gewissheit, in ihm den richtigen Nachfolger für Tugan Sokhiev gefunden zu haben.“

„He is a mensch“

Und einen jungen Mann, der die Errungenschaften der deutschen Klassikszene offenbar sehr zu schätzen weiß. In Edinburgh, wo Ticciati seit 2009 das Scottish Chamber Orchestra leitet, muss der Dirigent jedes Mal kämpfen, damit er die fünf Proben pro Programm bekommt, die er für unabdingbar hält. Eigentlich, so hört er stets vom Management, könne sich das Ensemble so etwas finanziell nicht leisten. Hierzulande hinhegen sind fünf Proben für ein Konzert eine Selbstverständlichkeit. Auch in Schottland kam der in London als Sohn eines Rechtsanwalts und einer Psychoanalytikerin geborene Musiker übrigens sofort so gut an, dass ihn das Ensemble bereits wenige Monate nach seinem Debüt zum "music director" wählte.
„He is a mensch“, sagt Simon Rattle über Robin Ticciati. Und meint damit ebenso seine freundliche Art und seine tadellosen Umgangsformen wie auch eine bei Dirigenten nicht selbstverständliche Fähigkeit zur Teamarbeit. Ticciati stellt nicht sich selber, sondern immer das Werk in den Mittelpunkt. Er versenkt sich intensiv in die Partituren, verschlingt Sekundärliteratur, betreibt wenn möglich auch Quellenstudien. „Autorität entsteht durch Ehrlichkeit und gute Vorbereitung“, lautet das Credo des Hochbegabten. Der sich übrigens nicht von der Musikindustrie blenden ließ, die ihn als Wunderkind vermarkten wollte, sondern sich bewusst aus dem gerade erst auf ihn gerichteten Rampenlicht zurückzog, um ein musikwissenschaftliches Studium in Cambridge zu absolvieren.

Perfektes Alter für große Herausforderungen

Vor zehn Jahren startete dann Ticciatis Karriere. 2006 wurde er zu den Salzburger Festspielen eingeladen, ab 2007 reiste er drei Jahre lang mit den Tourneeproduktionen des Glyndebourne Festivals durch Südengland. Er debütierte bei Top-Orchestern wie dem Amsterdamer Concertgebouw oder dem Leipziger Gewandhaus und wurde – was eine noch größere Ehre darstellt – nach den Konzerten sofort wieder eingeladen. Bei den Bamberger Symphonikern konnte er als erster Gastdirigent kontinuierlich am sinfonischen Repertoire arbeiten. So manches verbindet die zwei Neuberliner: Beide haben Komponisten als Großväter, beide sind mit einer dunklen Lockenpracht gesegnet, beide wurden vom britischen Altmaestro Colin Davis väterlich gefördert. Und beide konnten ihre Karrieren sehr früh starten: Der 22-jährige Ticciati war 2005 der jüngste Dirigent, der je an der Mailänder Scala debütierte; und der 1972 als Sohn des Dirigenten Michail Jurowski in Moskau geborene Vladimir kam mit 24 Jahren an die Komische Oper. Nach den Berliner Lehrjahren sorgte Jurowski in Großbritannien für Furore, zunächst als Musikdirektor in der ländlichen Idylle von Glyndebourne (wo Ticciati 2014 sein Nachfolger wurde), später mit dem London Philharmonic Orchestra, bei dem er den Chefposten von Kurt Masur übernahm. Die Zusammenarbeit funktioniert so gut, dass Jurowskis Vertrag schon mehrfach verlängert wurde, zuletzt bis Sommer 2018.

Aufgrund seines charismatischen Dirigierstils, bei dem er die Klänge mit dem Taktstock förmlich aufzuspießen scheint, trägt Jurowski in London den Spitznamen „Vlad, der Pfähler“ – als Anspielung auf den transsilvanischen Despoten, der das Vorbild für Bram Stokers Dracula gewesen sein soll. Dabei ist Jurowski alles andere als ein Show-Dirigent, hat er sich doch selber einen langsamen Reifungsprozess verordnet, So manches „Chefstück“ überließ er in London lange den Gastdirigenten. Beethovens Neunte führte er erstmals zu seinem 40. Geburtstag auf, an Johannes Brahms wagte er sich erst mit 35 Jahren, an Gustav Mahler mit 37. Obwohl ihm der klassische Kanon aus dem Studium vertraut ist, wollte er auf keinen Fall zum „musikalischen Fließbandarbeiter“ werden, der überall alles dirigiert. Mit Jurowski hat das Rundfunk-Sinfonieorchester einen doppelten Glücksgriff getan. Zum einen wird er für die Musiker sehr präsent sein können, weil er mit seiner deutschen Frau und seinen beiden Kindern bereits jetzt in Berlin lebt. Zum anderen hat das perfekte Alter, um die ganz großen künstlerischen Herausforderungen anzunehmen.

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