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Der Österreicher Michael Stütz, der Deutsche Andreas Struck und die Spanierin Paz Lázaro.

© Kai-Uwe Heinrich

68. Berlinale: Neue Leitung für das Panorama

Generationswechsel: Paz Lázaro mit ihren Kuratoren Michael Stütz und Andreas Struck sind das neue Team an der Spitze der Berlinale-Sektion Panorama.

Von Andreas Busche

Die letzten Tage vor Beginn der Berlinale hätte sich Paz Lázaro, die neue Leiterin des Panoramas, anders vorgestellt. Statt inhaltlicher Auseinandersetzungen beschäftigte sie eine Personalfrage, die einen Schatten über das Programm warf – und mitten hinein in eine Diskussion führte, die Dieter Kosslick zu einem zentralen Anliegen des Festivals mit dem weltweit zweitgrößten Filmmarkt erklärt hat: die „MeToo“-Debatte über sexuellen Missbrauch und die Machtverhältnisse in der Branche. Im Fokus steht der südkoreanische Regisseur und Gewinner das Goldenen Löwen Kim Ki-duk, dessen Film „Human, Space, Time and Human“ im Panorama läuft.

In seiner Heimat hat Ki-duk gerade eine juristische Auseinandersetzung hinter sich. Eine Schauspielerin hatte dem Regisseur vorgeworfen, sie bei Dreharbeiten im Jahr 2013 geohrfeigt und zu Sexszenen genötigt zu haben. Die Anzeige wegen sexueller Nötigung wurde im Dezember aus Mangel an Beweisen fallengelassen, Ki-duk zahlte jedoch eine Geldstrafe für die Ohrfeige. In den deutschen Medien kam der Fall vergangenes Wochenende an, nachdem die Schauspielerin ihre Vorwürfe erneuert hatte – diesmal gegen Kosslick und die Berlinale, die sie der Heuchelei beschuldigt.

Lázaro gibt zu, die Wirkung der Debatte unterschätzt zu haben, was angesichts der nicht abreißenden Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs in nahezu allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens etwas überrascht. Von dem Gerichtsprozess gegen Ki-duk habe man früh gewusst, es bestand enger Kontakt zur Produktionsfirma. „Nachdem der Fall juristisch abgeschlossen war“, sagt Lázaro, „stand für uns von einem kuratorischen Standpunkt aus fest, dass wir Kim Ki-duk einladen. Wir sind weder ein Gericht noch eine moralische Instanz, darum haben wir kein Problem damit, seinen neuen Film zu zeigen.“ Einzige Voraussetzung sei gewesen, dass Kim Ki-duk persönlich nach Berlin komme, um sich der Presse zu stellen. „Wir halten das Berliner Publikum für gebildet genug, es möchte an solchen Debatten teilhaben. Ihm den Film vorzuenthalten, hätte wie eine Vorverurteilung ausgesehen.“

Chance für eine Erneuerung

Zweifellos ist die Kommunikation seitens das Panoramas unglücklich verlaufen. Statt frühzeitig die Initiative zu ergreifen und die Deutungshoheit über die Diskussion zu übernehmen, ist sie dem Festival aufgezwungen worden. „Kosslick lädt MeToo-Regisseur zur Berlinale ein!“ lautete sinngemäß der Tenor in den Medien. Lázaro betont hingegen die Autonomie des Panorama-Teams, das sich auch gegen die Empfehlung anderer, erfahrener Sektionsleiter für „Human, Space, Time and Human“ ausgesprochen hat.

Die Kontroverse gibt einen kleinen Vorgeschmack auf die zukünftigen Aufgaben, in Berlin weht kulturpolitisch ein scharfer Wind. Aber vielleicht ist die Diskussion um Kim Ki-duk genau die richtige Maßnahme, mit der sich Lázaro und ihre zwei Kuratoren Michael Stütz und Andreas Struck in ihrem ersten Jahr profilieren können. Die Fußstapfen, in die das neue Leitungsteam tritt, sind groß, ihr Vorgänger Wieland Speck war 25 Jahre das Gesicht des Panoramas. Er hat die Sektion zum international wichtigsten Festival des Queer Cinema gemacht, inhaltliche Ermüdungserscheinungen waren zuletzt allerdings spürbar. Abgesehen von den auch dieses Jahr wieder viel versprechenden queeren Filmen fehlt dem Programm ein wiedererkennbares Profil.

Das Panorama ist die erste Sektion der Berlinale, die einen Generationswechsel an der Spitze vornimmt. Die Chance für eine Erneuerung. Gleichzeitig setzt man auf Kontinuität: Lázaro, Stütz und Struck sind langjährige Panorama-Mitarbeiter. Lázaro kümmert sich seit 2006 um die Koordination zwischen den Delegierten der Sichtungsgremien und die Organisation des Programms, dazu sitzt sie im Auswahlkomitee des Wettbewerbs. Stütz betreut fast ebenso lange den Teddy-Award. Die Dreiteilung der Spitze war eine Idee Specks, aber sie entspricht, so Lázaro, auch der kuratorischen Neuausrichtung: mehr und vor allem unterschiedliche Stimme sollen das Programm bereichern. Alle Entscheidungen werden einstimmig getroffen, wobei Lázaro notfalls das letzte Wort hat. „Soweit ist es aber nicht gekommen“, meint sie, „wir waren uns bei allen Filmen einig.“ Stütz ergänzt: „Schon durch die Dynamik zwischen uns finden sich ganz andere Schwerpunkte als in den vorherigen Jahren.“

Zwischen Forum und Wettbewerb

Leicht wird die inhaltliche Neupositionierung nicht. Das Panorama hat seit jeher ein strukturelles Problem: einerseits durch die Nähe zum Wettbewerb, da man – im Gegensatz zum unabhängigen Forum – Teil des offiziellen Programms ist, andererseits durch die Verbandelung mit dem Europäischen Filmmarkt, seit der Gründung des Panoramas 1986 ein wirtschaftliches Standbein. Das Panorama hängt zwischen dem Forum mit seinem Fokus auf dem internationalen Arthouse- und Autorenkino und dem Wettbewerb mit seinen Gala-Aufführungen. Deshalb wurde eigens die etwas glamourösere Reihe Panorama Special eingeführt, in der im letzten Jahr etwa der oscarnominierte „Call me by your name“ lief.

Hoffnung machen auch dieses Jahr die überzeugenden Dokumentarfilme, die sich in der Untersektion Panorama Dokumente als zweites Aushängeschild etablieren. Weil sich die drei nicht auf Weltpremieren konzentrieren müssen und daher thematischer arbeiten können, befinden sich im Programm außergewöhnliche Filme über queere Körperpolitik und das Erstarken des Nationalismus in Europa. Und was sagt ihr ehemaliger Chef zur Auswahl? „Der hat sich gefreut“, meint Lázaro. Er wolle sich die Filme aber erst auf dem Festival ansehen. Diese Bewährungsprobe haben sie schon mal bestanden.

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