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Neue Nationalgalerie Berlin: Der Schatz der wilden Jahre

Ende 2014 schließt die Neue Nationalgalerie zwecks Sanierung für vier Jahre. Bis dahin aber präsentiert sie - als Abschluss der Sammlungstrilogie - ihre Bestände mit Werken von 1968 bis 2000. Das Ausstellungsmotto: "Ausweitung der Kampfzone".

Das klingt nach was: das Museum als Kampfplatz, Schlachtfeld, Ort der Action. Seit Udo Kittelmann die Nationalgalerie leitet, haben die Ausstellungstitel etwas Reißerisches bekommen, denn das Publikum soll strömen. Und seit die Auseinandersetzungen um ein künftiges Museum des 20. Jahrhunderts toben – sei es in der bisherigen Gemäldegalerie oder in einem Neubau hinter dem Mies-van-der-Rohe-

Bau, wie jetzt von der Stiftung favorisiert –, fliegen den Diskutanten kriegerische Terminologien nur so um die Ohren.

Die dritte und letzte Präsentation des Sammlungsbestandes (1968 bis 2000) vor der sanierungsbedingten Schließung der Neuen Nationalgalerie Ende 2014 ist deshalb eine Ansage in eigener Sache: „Ausweitung der Kampfzone“ lautet diesmal der Ausstellungstitel in Anlehnung an Michel Houellebecq. Schweres Geschütz wird aufgefahren, Kunst vom Feinsten, um der Museumswelt noch einmal klarzumachen, dass sich hier ein Haus in Turbulenzen befindet. „Es fehlt das Dach über dem Kopf“, sagt Kittelmann melodramatisch bei der Eröffnung. Das gehört zum Anheizen der Stimmung.

Die Erwartungen sind entsprechend hoch, das letzte Mal der geliebte Mies in seinem schon leicht angegammeltem Zustand. Wer weiß, wie er 2018 nach der Sanierung durch David Chipperfield aussieht? Wer weiß, ob es tatsächlich einen Neubau hinter dem Skulpturengarten gibt? Oder ob der Bund die erforderlichen Gelder etwa wegen des jüngsten Debakels auf der Museumsinsel, der Mehrkosten für die James-Simon-Galerie, gar nicht erst genehmigt? Der Heilige Jupp vom Niederrhein wird deshalb gleich im Entree angerufen. Für Joseph Beuys war die Kunst schließlich programmatisch ein Ort sozialer Auseinandersetzungen. Die mit krakeliger Kreideschrift bedeckten Schultafeln seiner Installation „Richtkräfte einer neuen Gesellschaft“ (1974–77) stimmen auf den pädagogischen Anspruch vieler folgender Arbeiten ein. Kunst nach ’68 wollte was: aufklären, aufbrechen, aufmischen.

Die Präsentation im Untergeschoss zeigt die kuratorische Mannschaft der Neuen Nationalgalerie auf ihrer Höhe, ein gelungener Abschied ins Ungewisse. Da nur ein Bruchteil des Bestandes gezeigt werden kann, muss die Auswahl umso präziser sein. Der Houellebecqs Kultbuch der Neunziger entnommene Titel gibt die Linie vor: Kunst als Terrain des Kampfes, nicht als ästhetisches Narrativ, wie es die zeitgenössischen Sammlungen in München, Stuttgart, Frankfurt, Hamburg weit besser können. In den Depots der Neuen Nationalgalerie befindet sich dafür das ein oder andere Bömbchen. Gezielt gezündet ergeben sie eine großartige Ausstellung.

Eine solche Geistesexplosion löst die Gegenüberstellung von Andy Warhols riesigem Camouflage-Bild mit den Soldaten-Bildnissen von Wolfgang Tillmans aus. Während der amerikanische Popart-Künstler 1986 das militärische Tarnmuster provokant zur abstrakten Malerei umwidmete, deckt der junge deutsche Fotograf 1999 das Spannungsverhältnis zwischen gefühltem Frieden und einer Dauerpräsenz von Soldatenfotos in den Medien auf. Erstaunlicherweise ist dies das politischste Statement der Ausstellung, abgesehen von Jenny Holzers kleiner Tafel, auf der sie Mitte der Achtziger den hellseherischen Satz „The Beginning of the War will be secret“ in metallenen Lettern schreiben ließ. Als ob sie es geahnt hätte.

Dieses Gespür für unterschwellige Spannungen spricht aus vielen Werken. Das mag nicht zuletzt an Berlin als Produktionsort zahlreicher Beiträge liegen. In seinem Fototableau „Waffenruhe“ offenbart Michael Schmidt die Trostlosigkeit der Mauerstadt, Punk als exzessiven Ausbruchsversuch. Auf der anderen Seite zeigt Larry Clark mit ungeschützter Offenheit, wie sich im amerikanischen Tulsa Jugendliche in Drogen und Sex stürzen, um der Ödnis zu entkommen (1968–72). Die Kampfzone Körper haben viele Künstler am eigenen Leibe ausgetestet. Marina Abramovic bewegt sich im Video „Freeing the Body“ (1976) bis zur Besinnungslosigkeit nackt zur Trommel ihres Partners Ulay. Via Lewandowskys Performance „Trichinen auf Kreuzfahrt“ im Jahr seiner Ausreise zeigt die Verzweiflung der Freidenker in der DDR. Im Tütü gekleidet donnert er mit dem Kopf immer wieder gegen einen Gong.

Darin besteht eine weitere Stärke der Ausstellung: dass sie dem Besucher keine feste Dramaturgie vorgibt, sondern ihn seine eigenen Verbindungen ziehen lässt, gleichwohl Themenschwerpunkte setzt. Zu den erhellendsten Zusammenstellungen gehört der Raum mit Bernhard Heisig, Karl Horst Hödicke, Anselm Kiefer, Wolfgang Mattheuer und Werner Tübke. Der Krieg und seine Folgen hat sie alle geprägt, das Pathos starrt aus ihren Werken. Anselm Kiefer lässt mitten im Museum einen Jagdflieger aus bleiernen Platten landen, mit Mohnkapseln bestreut, Karl Horst Hödickes Gemälde „Sirenen“ erinnert an die großen Verführer der Vergangenheit, Bernhard Heisig reinszeniert Kampf und Zerstörung auf seinen Bildern. Ost, West, das sind hier nur noch historische Positionen, keine ideologischen Bekenntnisse mehr. Ein Vierteljahrhundert nach dem Mauerfall zählt allein künstlerische Qualität.

Zugleich machen es die Kuratoren dem Besucher schwer, der sich fragt: Das soll alles gewesen sein? Die Ausstellung bezieht ihre Virulenz auch aus dem Mangel. Durch die pointierte Setzung muss vieles fehlen, allein das Wegschließen der großen Amerikaner auf Jahre hinaus schmerzt. Eine Ausnahme bildet Barnett Newmans „Who’s Afraid of Red, Yellow and Blue“ (1969/70), mit dem er den Bildraum zum Selbsterfahrungsraum machte. Für sein Gemälde wurde im Zentrum der Präsentation aus Ausstellungswänden eine eigene kleine Galerie gebaut, so eingekästelt fehlt ihm jedoch die Luft zum Atmen. Mit Wehmut erinnert man sich der Zeiten, als dieses Hauptwerk noch großzügig im Gartensaal hing. Jetzt ist dort Bruce Naumans „Indoor Outdoor Seating Arrangement“ von 1999 platziert, hölzerne Zuschauertribünen einander gegenübergestellt. Zwanzig Jahre nach den Errungenschaften der Farbfeldmalerei tritt der Besucher nicht nur visuell, sondern leibhaftig in die Kunst ein.

Der Besucher mag zwar viele Werke auch im dritten Teil der Trilogie vermissen – von den Touristen ganz zu schweigen, die weiterhin Kirchner vergeblich suchen –, er wird mit so mancher Neuerwerbung überrascht. Hans Ticha etwa, der im Osten die Propagandakunst aufs Korn nahm und marschierende Soldaten poppig gelb als Pappkameraden zeigt. Anna Blume vermachte der Nationalgalerie nach dem Tod ihres Mannes die Reste des gemeinsamen Ateliers: Denkstube, Spielplatz, Schlachtfeld in einem. Im Regal stehen noch die Requisiten ihrer surrealen Fotoaktionen, irrwitzige Bauteile, hinter denen ein vermeintlich verzweifelter Johannes Blume hervorlugt. Wer lacht, gewinnt.

Neue Nationalgalerie, Potsdamer Str. 50, bis Ende 2014. Di / Mi / Fr 10 – 18 Uhr, Do 10 – 20 Uhr, Sa / So 11 – 18 Uhr.

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