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Neuer Historikerstreit?: Diskussion um die Studie "Das Amt" spitzt sich zu

„Das Amt“, als 880-Seiten-Wälzer vorwiegend biografischer Detailinformationen über Ministerialbeamte, hat eine Diskussion entfacht, die in Umfang und Heftigkeit an den „Historikerstreit“ der bundesdeutschen Spätzeit 1987/88 erinnert.

Dieser Satz trifft immer noch zu. „Das Auswärtige Amt war eine verbrecherische Organisation“, urteilte der Marburger Historiker Eckart Conze wenige Tage, bevor er die Studie „Das Amt“ an Guido Westerwelle übergab. Conze hatte die Studie mit drei Kollegen der „Unabhängigen Historikerkommission zur Aufarbeitung der Geschichte des Auswärtigen Amtes in der Zeit des Nationalsozialismus und in der Bundesrepublik“ verfasst.

„Das Amt“, als 880-Seiten-Wälzer vorwiegend biografischer Detailinformationen über Ministerialbeamte so gar nicht bestsellertauglich, hat eine Diskussion entfacht, die in Umfang und Heftigkeit an den „Historikerstreit“ der bundesdeutschen Spätzeit 1987/88 erinnert. Doch während es damals um die Bewertung des NS-Regimes und seiner Verbrechen im Ganzen ging und dies zu einem Zeitpunkt, da viele Zeugen noch lebten, wirkt die jetzige Diskussion merkwürdig verspätet.

Das Auswärtige Amt, so die Studie, hat sofort nach der Machtergreifung Hitlers 1933 den Kurs des NS-Regimes eingeschlagen und sich in geradezu vorauseilendem Gehorsam an der Entscheidungsfindung und Durchführung des Völkermordes an den europäischen Juden beteiligt. Diese deutliche Beurteilung blieb nicht unangefochten. So sagte der renommierte NS-Forscher Hans Mommsen, die Rolle des AA, wie das Auswärtige Amt seit jeher gekürzelt wird, bei der Organisation der NS-Verbrechen werde überbewertet. Da spricht der Vertreter einer strukturtheoretischen Deutung des NS-Staates, in dem erst die durch konkurrierende Machtzentren verursachte „kumulative Radikalisierung“ den Holocaust ermöglicht und hervorgebracht habe.

Der Historiker Daniel Koerfer, Privatdozent an der Berliner FU, geht in seiner Kritik weiter. Er betont, das AA habe bei der berüchtigten Wannseekonferenz zur „Endlösung der Judenfrage“ im Januar 1942 „keine wesentliche Rolle gespielt“. Es sei „nur“ durch einen Unterstaatssekretär vertreten gewesen, „der über das Büro Ribbentrop ins AA gekommen war“ – also über den in Nürnberg als einer der Hauptkriegsverbrecher zum Tode verurteilten NS-Außenminister Joachim von Ribbentrop. Nach dem Krieg wurde von Ribbentrop von den Ministerialen als Eindringling dargestellt, mit dessen Politik sich das Amt nie identifiziert habe.

Genau das aber verdeutlicht die jetzige Studie: Dass das Amt in all seinen Abteilungen und Referaten nicht nur vom Massenmord, der in den besetzten Ostgebieten seit dem 22. Juni 1941 in Gange war, genauestens Bescheid wusste, sondern die Teilnahme verbündeter und besetzter Staaten an Deportationen und Morden betrieb und beförderte. „ ,Das Amt’ ’’, resümierte Koerfer, sei „kein Buch der Erklärung und kein Buch der Versöhnung“. Es sei ein „Buch der Rache“.

Auch Rainer Blasius von der „FAZ“ geht mit der Studie hart ins Gericht. Blasius, früher selbst im AA tätig, charakterisierte den während der Zeit des „Reichsprotektorats“ in Prag tätigen Franz Nüßlein als Widerständler. Der 2003 verstorbene Nüßlein erhielt einen Nachruf im Hausmitteilungsblatt des Außenministeriums, der wegen seiner Schönfärberei erst der Auslöser der Aufarbeitung der Außenamtsvergangenheit im Jahr 2005 war.

Koerfer und Blasius geht es um die jahrzehntelange These, das AA sei im Kern ein Hort des hinhaltenden Widerstandes gegen die Vernichtungspolitik der Nazi-Spitze und nicht aktiv in den Völkermord eingebunden gewesen. Dieser Mythos – denn darum handelt es sich – geht zurück auf den „Wilhelmstraßenprozess“ vor dem Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg, der zwischen Ende 1947 und April 1949 stattfand. Hauptangeklagter war AA–Staatssekretär Ernst Freiherr von Weizsäcker, der schließlich wegen der Zustimmung zur Deportation von 6000 französischen Juden nach Auschwitz verurteilt wurde, aber bereits 1951 aus der Haft freikam. Weizsäcker, Vater des späteren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, galt als genau das Beispiel von Widerstand in verantwortungsvoller Position, als das er sich schon in Nürnberg präsentiert hatte. Um seine vermeintliche Gloriole hatten sich zahllose Diplomaten des Amtes als gleichfalls verkannte Widerständler geschart.

Mit dieser Legende, die die Wiederbegründung des Außenministeriums in der Bonner Republik begleitete, vor allem aber die geräuschlose Übernahme der im Sinne des NS-Regimes gut funktionierenden Ministerialen in die Adenauer-Administration (und die bis 2005 auch im neuen Amtssitz in Berlin gepflegt wurde), hat die Studie der Historikerkommission aufgeräumt. „Das Ministerium hat an den nationalsozialistischen Verbrechen bis hin zur Ermordung der Juden als Institution mitgewirkt“, fasst Conze die Lektüre der vielfach bis dahin unzugänglichen Akten des Amtes zusammen.

Das ist im Übrigen keine neue Erkenntnis – sondern nur eine geflissentlich verdrängte. Der amerikanische Historiker Christopher Browning hat sie bereits 1979 in seinem Buch „Die ,Endlösung' und das Auswärtige Amt“ dargelegt. Allein der Umstand, dass „Das Amt“ von Westerwelles Vor-Vorgänger Joschka Fischer in Auftrag gegeben worden war und eine nunmehr offizielle Sicht der Amtsvergangenheit vorlegt, mit der sich die Diplomaten fortan arrangieren müssen, hat zu jener Empörung geführt, die sich zunächst nur leise grummelnd, mittlerweile deutlich vernehmbar äußert.

Nun hat sich am letzten Freitag die Viererkommission in der „Süddeutschen Zeitung“ erstmals selbst zu den Vorwürfen geäußert. Zufälligerweise zeitgleich mit einem Beitrag des AA-Kenners Christopher Browning in der „FAZ“, der wiederum einige, über einzelne Ministeriale geäußerte Befunde der Kommission in Details korrigieren will. Conze und seine Kollegen rücken in ihrer Antwort erneut die Perspektive zurecht, unter der die Tätigkeit des AA gesehen werden muss: „Weder die dominierende Rolle von SS und Reichssicherheitshauptamt (RSHA) noch der Anteil anderer Behörden wird dadurch“ (gemeint ist die „spezifische Bedeutung des AA“, die Red.) relativiert. In der Form des technisch-industriellen Massenmordes konnte der Holocaust nur durchgeführt werden, weil nahezu der gesamte Regierungs- und Parteiapparat des Dritten Reiches daran beteiligt war und seine je eigenen Kompetenzen und Werkzeuge zur Verfügung stellte.“ Und, kurz und deutlich: „So auch und nicht zuletzt das Auswärtige Amt.“

Genau das aber ist der Kern der Studie „Das Amt“. Weder hat das Außenamt den Völkermord als solchen konzipiert, noch wurde er von der Wilhelmstraße aus organisiert. Mehr noch: Auch ohne das AA hätte der Holocaust stattgefunden. Die führende Rolle des RSHA in der Prinz-Albrecht-Straße – mit Adolf Eichmann als Leiter des „Judenreferates“ – ist unbestritten. Es geht um nicht mehr als die Erkenntnis, dass das AA mit seinen durchweg stockkonservativen und deutschnationalen Diplomaten aus meist adligem Hause diensteifrig zur Hand war, als es galt, den Völkermord außenpolitisch abzusichern und zu befördern.

Das Amt, von dessen tief verstrickten Mitarbeitern sich viele in der Bundesrepublik den Mantel des Widerständlers umzuhängen wussten, war, wie die Historikerkommission es auf den Begriff bringt: „eine verbrecherische Organisation“. Dass einige Wenige – und wahrlich nicht die, die es von sich behaupteten – Sand ins Getriebe zu streuen suchten, wo stärkerer Widerstand ohnehin illusorisch war, ändert nichts am furchtbaren Befund. Einen neuen Historikerstreit wird es ums Auswärtige Amt nicht geben, es sei denn als beschämende Farce.

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