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Die britische Schriftstellerin Joanne K. Rowling

© AFP

Neuer Krimi von Joanne K. Rowling: "Der Ruf des Kuckucks" - Ein plötzliches Versteckspiel

Ich ist eine Verwertungsmaschine: Der von Joanne K. Rowling unter dem Pseudonym Robert Galbraith geschriebene Kriminalroman "Der Ruf des Kuckucks".

Die ganze Geschichte dieses Kriminalromans von Joanne K. Rowling ist auch ein schönes Lehrstück über Beschleunigung. Im Jahr 1930 veröffentlichte eine gewisse Mary Westmacott ihr Debüt „Singendes Glas“ – und es brauchte knapp 20 Jahre, bis sich herausstellte, dass sich hinter „Mary Westmacot“ die erfolgreichste Autorin der Literaturgeschichte verbarg: Agatha Christie.

Im Fall von Joanne K. Rowling ging jetzt alles deutlich schneller. Nachdem die britische Schriftstellerin über 450 Millionen „Harry-Potter“-Exemplare verkauft hatte, veröffentlichte sie zunächst unter großem Getöse den Kleinstadtroman „Ein plötzlicher Todesfall“. Anschließend schrieb sie in aller Stille einen Krimi und brachte ihn in diesem Frühjahr unter dem Pseudonym „Robert Galbraith“ heraus. Es dauerte gerade einmal drei Monate, bis die wahre Identität dieses ja völlig unbekannten Autoren enthüllt wurde – und „The Cuckoo’ s Calling“ selbstverständlich in die Bestsellerlisten schoss. Alles eine Frage des Timings. Der zum Random-House-Konzern gehörende Blanvalet Verlag hatte die Rechte für die deutsche Ausgabe von „The Cuckoo's Calling“ bereits relativ preiswert eingekauft und setzte kurzerhand drei Übersetzer daran, um das Buch nun pünktlich zum ertragsträchtigen Weihnachtsgeschäft auszuliefern. Aber keine Angst, es wird ein besinnliches Fest: „Der Ruf des Kuckucks“ ist ein langsam erzählter Kriminalroman in bester englischer Tradition. Er beginnt damit, dass das Supermodel Lula Landry aus dem Fenster ihres Penthouses in den Tod stürzt. Psychische Probleme, Drogen, Beziehungsstress: Alles deutet auf einen Selbstmord hin. Nur der Bruder des Modells glaubt an einen Mord und beauftragt den abgewrackten Privatdetektiv Cormoran Strike, Ermittlungen anzustellen.

"Der Ruf des Kuckucks" steht in bester britischer Kriminalromantradition

Joanne K. Rowling lässt sich Zeit. Cormoran Strike, „ein humpelnder Mann in einem zerknitterten Hemd“, lernen wir nur allmählich besser kennen. Er schläft im Büro, weil er eine schmutzige Trennung hinter sich hat – das erfahren wir gleich. Dass der Detektiv eine Prothese trägt, dass ihm sein Bein bei einem Armee-Einsatz in Afghanistan „weggesprengt“ wurde, das wird später fast nebenbei erwähnt, genau wie seine dunkle Familiengeschichte, die ihn im gewissen Sinne mit dem toten Model verbindet: Cormoran Strike ist der Sohn eines Groupies, das in den siebziger Jahren an einer Überdosis gestorben ist. Oder hat möglicherweise auch damals jemand nachgeholfen? Diese Frage wird keinesfalls überstürzt beantwortet. Und das ist schon irre: Ausgerechnet die „Harry-Potter“-Schriftstellerin Joanne K. Rowling, deren Name zum Symbol eines übertakteten Buchmarkts geworden ist, erteilt uns eine Lektion in Sachen Entschleunigung.

„Der Ruf des Kuckucks“ ist ein Whodunnit, den man nach geruhsamer Lektüre gern hinter den Rätselkrimis von Agatha Christie, P. D. James oder Ruth Rendell einsortierten kann. Mehr darf man allerdings auch nicht erwarten. Wer „Harry Potter“ gelesen hat und sich in Hogwarts auskennt, weiß, dass Joanne K. Rowling zwar eine geradezu unheimliche Begabung dafür hat, phantastische Gestalten „echt“ wirken zu lassen. Umgekehrt – das hatte schon der veritable Flop „Ein plötzlicher Todesfall“ gezeigt – scheint es ihr allerdings schwer zu fallen, gewollt realitätsnahen Figuren fiktional Leben einzuhauchen.

„Der Ruf des Kuckucks“: Ein gutes Buch? Ein wichtiges Buch?

Das merkt man auch den Menschen an, denen Cormoran Strike jetzt im Zuge seiner Ermittlungen begegnet: Die geldgierigen Rechtsanwälte in der Kanzlei, in der Lula Landrys Bruder arbeitet, haben zum Beispiel ein „strahlend weißes Zähneblecken“ und schlafen selbstverständlich mit ihren Sekretärinnen. Der dunkelhäutige Wachmann in Lulas Haus dagegen hat „mandelförmige Augen“, spricht mit einem „leicht karibischen Anklang“ und beginnt jeden Satz mit „yeah“. Und der Designer Guy Somé – einer der engsten Freunde der Verstorbenen – ist eitel, homosexuell und bossy. Das Prinzip ist klar: Lula Landrys Umfeld besteht aus Menschen, deren Klassenzugehörigkeit, Abstammung oder sexuelle Orientierung sie verdächtig macht. So haut das Ressentiment halt rein, wenn das erzkonservative Genre des englischen Landhauskrimis ungebrochen in die urbane Lebenswelt 21. Jahrhundert überführt wird.

Innerhalb dieser Logik ist es nur konsequent, dass die Medien ebenfalls einen Platz unter den Verdächtigen bekommen: Die „beschissene Meute“ der Paparazzi soll mitgeholfen haben, Lula Landry in den Tod zu treiben. Und Privatdetektiv Cormoran Strike erinnert sich daran nur zu gut: „Er wusste mehr über den Tod von Lula Landry, als er je hatte wissen wollen, und so gut wie jedem anderen auch nur halbwegs aufmerksamen Einwohner Großbritanniens ging es wohl ähnlich. Man war so lange mit der Story bombardiert worden, bis man gegen seinen Willen Interesse gezeigt hatte.“ Damit ist Rowlings Kriminalroman also auch ein Buch über die Schattenseite des Ruhms im Zeitalter der Massenmedien. Das ist ein Thema, mit dem Joanne K. Rowling sich natürlich gut auskennt, und möglicherweise hätte „Der Ruf des Kuckucks“ sogar ein sehr persönliches Buch werden können. Dann hätte die bekannteste Autorin der Gegenwart tatsächlich Sand ins Getriebe gestreut – und die rasende Verwertungsmaschine, die weltweit in ihrem Namen rotiert, für einen Moment zum Stillstand gebracht.

So allerdings läuft die Maschine wie geschmiert. „Der Ruf des Kuckucks“ ist kein gutes Buch, kein wichtiges Buch – und trotzdem bemühen wir Kritiker uns wie atemlose Paparazzi, mit dem dürftigen Objekt unserer Begierde Schritt zu halten. Zum Erscheinen des neuen Roman von Joanne K. Rowling alias Robert Galbraith gleichen wir möglichst schnell die eifrig geschürten Erwartungshaltungen am Gegenstand ab – anstatt uns die naheliegende Frage zu stellen: Was kann man der Ökonomie der Aufmerksamkeit entgegensetzen? Joanne K. Rowling hatte mit der Wahl eines Pseudonyms ja eigentlich schon den ersten Schritt getan.

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