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Die amerikanische Musikerin Lucinda Williams.

© Highway 20 Records

Neues Album von Lucinda Williams: Die Straße, der Staub und der Schmerz

Lucinda Williams reist auf ihrem meisterhaften Doppelalbum „The Ghosts Of Highway 20“ durch die Südstaaten.

Auf fast 2500 Kilometer bringt es die Interstate 20. Sie führt von Texas nach South Carolina und verläuft parallel zur Golfküste. Lucinda Williams kennt diesen Highway, der auch ihren Heimatstaat Louisiana durchquert, so gut wie ihren Handrücken („like the back of my hand“). So formuliert sie es im Titelsong ihres gerade erschienenen zwölften Studioalbums, das der Straße gewidmet ist und „The Ghosts Of Highway 20“ heißt.

Lang, aber nie langweilig

Es ist ebenfalls lang: zwei CDs mit jeweils sieben Songs, die größtenteils deutlich über der Fünf-Minuten-Marke liegen. Doch langweilig wird es auf diesem Trip mit der Americana-Großmeisterin nie. Vom ersten Ton des prachtvollen Eröffnungsstücks „Dust“ an fesselt sie mit ihrer verwitterten Stimme und ihren Texten, die zum einen um den Highway kreisen und zum anderen ihre angestammtes Themenfelder Liebe, Tod und Glauben beackern.

Eine besonders anschauliche Skizze gelingt Williams in „I Know All About It“, in dem sie eine toughe junge Frau beschreibt: „Carrying your pain in your backpocket like a sharp edged knife“. Diesen messerscharfen Schmerz kennt die Sängerin selber nur zu gut. Gern käme sie mit der Jüngeren ins Gespräch, doch die dreht stolz ihren Kopf weg. So ist es an den aufschluchzenden Gitarren, von Leid und Seelenpein zu künden.

Die Gitarrenarbeit ist ohnehin eine Hauptattraktion des Doppelalbums: Greg Leisz und Bill Frisell verleihen Williams’ im Blues und Country wurzelnden Songs eindrucksvolle Tiefe und Textur. Da die beiden Stimmen auf getrennte Kanäle gemischt sind, wirken ihre Unterhaltungen, Duelle und Parallelflüge extrem plastisch. Die liebevollen Intros, Outros und die zahlreichen Instrumentalpassagen bauen Leisz und Frisell zu kleinen Kunstwerken aus. Wie sie etwa zu Beginn von „House Of Earth“ eine sanft geschlagene Akustikgitarre mit zwei sehnsüchtigen E-Gitarren-Linien verschränken, ist umwerfend schön und bereitet angemessen auf dieses auf einem Woody-Guthrie-Text basierende Stück vor, das aus der Sicht einer Prostituierten geschrieben ist.

Es ist schon ihr zweites starkes Doppelalbum in Folge

Noch ein weiteres Mal greift Lucinda Williams auf fremdes Material zurück: Sie covert Bruce Springsteens „Factory“, das bei ihr fast doppelt so lang und etwa dreimal so finster ist. Abgebremst, ohne das Klavier, das im Original einen Rest Lebensfreude ausstrahlt, schleppt sich der Song, angetrieben von schweren Bassdrumschlägen, wie ein gebeugter Arbeiter dahin. Und wenn Williams mit monoton klagender Stimme „It’s the working, the working, just the working life“ singt, hat man die hängenden Schultern des Mannes geradezu vor Augen. Für solche dunklen Szenarien ist Williams Expertin, was sie auch in der grabesschweren Ballade „Death Came“ und der fast 13-minütigen Selbstbeschwörung „Faith & Grace“ beweist.

An ihrem Geburtstag spielt Lucinda Williams in Berlin

„The Ghosts Of Highway 20“ ist ihr zweites Album auf ihrem eigenen Label Highway 20 Records. Es erscheint kaum 16 Monate nach ihrem letzten, ebenfalls starken Doppelalbum „Down Where The Spirit Meets The Bone“. Offenbar hat die neue Unabhängigkeit bei der inzwischen in Los Angeles lebenden Sängerin, die für ihren Perfektionismus bekannt ist, einen Kreativschub freigesetzt. Sie scheint sich zu einem großen Alterswerk aufzuschwingen – und ein bisschen Altersmilde hat sich auch schon eingestellt. So feiert die Sängern, die an ihrem 63. Geburtstag am kommenden Dienstag ein Konzert im ausverkauften Berliner Kesselhaus gibt, in der versöhnlichen Ballade „Close The Door On Love“ das Zusammenbleiben trotz aller Streits und Tränen: „I know you got a litte bad boy in you/And I got a little bad girl in me/But in the end of the day we know what to do/The last word is always one of peace“. Weise Worte, raue Stimme – man muss ihr glauben.

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