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© Büro Zvi Hecker

Neugestaltung am Pariser Platz: Platz der Wiedervereinigung

Dem Stadtraum rund um das Brandenburger Tor fehlt eine klare Fassung, meint Zvi Hecker, einer der bedeutendsten Architekten Israels. Hier eröffnet sich die Möglichkeit, einen offenen Raum zu schaffen, der schön und bedeutend sein kann.

Die Feiern zum 20. Jahrestag des Mauerfalls und deren Schauplätze haben eindringlich gezeigt, wie sehr Berlin öffentliche Räume braucht – für Versammlungen, Konzerte, Feste, Jubiläumsfeiern oder Demonstrationen. Die Plätze von Berlin sind die gute Stube dieser Stadt.

Es ist noch gar nicht lange her, dass Berlin seinen schönen, hundert Jahre alten Platz der Republik verloren hat. Statt seinen im Zweiten Weltkrieg zerstörten Grundriss und seine Maßstäblichkeit zu rekonstruieren und den Rang wiederherzustellen, den er mitsamt seiner beiden symmetrisch positionierten Springbrunnen und der Verbindung zur Spree innehatte, wurde ihm ein langgestreckter Gebäuderiegel aufgezwungen, der den Bundestag von der Spree abtrennt. Dies war eine der verhängnisvollsten städtebaulichen Fehlentscheidungen der 90er Jahre.

Heute hat sich der Schwerpunkt der Versammlungen und Veranstaltungen auf den Bereich um das Brandenburger Tor verlagert – und zwar auf beide Seiten des Tors, die östliche und die westliche. Der Pariser Platz ist von einer Mischung aus öffentlichen und halböffentlichen Funktionen geprägt und bietet nur einen eingeschränkten Rahmen für große Menschenansammlungen. Daher hat der Bereich westlich des Brandenburger Tors an der Nahtstelle zum Tiergarten die Rolle eines großräumlichen Versammlungsplatzes übernommen. Er hat sich bei vielen Anlässen bewährt, in den Wochen der Fußballweltmeisterschaft 2006, beim Besuch des Präsidentschaftskandidaten Barack Obama und oder eben bei den jüngsten Feiern zum Mauerfall-Jubiläum.

Die Hinwendung der Berliner zu diesem Ort sollte nicht unterschätzt werden. Gegenwärtig hat der Stadtraum zwischen Brandenburger Tor und Tiergarten keine definierte Gestalt. Ihm fehlt eine klare Fassung, weshalb er auch kein architektonisches Pendant zur barocken Grundrissform des Pariser Platzes bietet. Er birgt jedoch ein Potenzial, das wegen der Straßen rund um das Brandenburger Tor derzeit noch nicht erkannt wird. Ohne aufwendige Baumaßnahmen könnte dem Bereich jedoch eine architektonische Fassung von besonderer stadträumlicher und symbolischer Bedeutung gegeben werden.

Durch eine Form, mit der die dem Brandenburger Tor eigene Dualität der Ost-West-Ausrichtung anerkannt und genutzt wird, könnte die ausdrucksstarke Achse der Straße des 17. Juni noch hervorgehoben werden. Sie würde dann auf zwei bedeutende Plätze zuführen, auf den Pariser Platz und den neu gestalteten Platz, der den Namen Platz der Wiedervereinigung tragen sollte.

Das Ensemble der beiden Plätze, verbunden durch das Brandenburger Tor, würde eine einzigartige architektonische Anlage in der langjährigen Tradition des europäischen Städtebaus darstellen.

Der Verkehrsverlauf braucht nicht verändert zu werden, er kann sich in die gepflasterte Struktur des Platzes der Wiedervereinigung einfügen. Anstelle der heute visuell dominierenden Fahrbahnen würden sich deren Windungen in das neue rautenförmige Platzmuster integrieren und sich darin auflösen. Die Pflasterstruktur des Platzes ergibt sich aus den strahlenförmigen Linien, die von der Westseite des Brandenburger Tors ausgehen, und den Linien, die sich aus der anderen Richtung, vom Ende der Straße des 17. Juni aus, nach Osten entfalten. Beide überlagern sich zu einem Muster, das Assoziationen an die Piazza Capitol in Rom weckt.

An den Rändern des rautenförmigen neuen Platzes zum Tiergarten hin sollten diskrete Vorrichtungen für dauerhafte Verstärkungs- und Beleuchtungssysteme integriert werden. So müsste man nicht mehr vor jeder Veranstaltung kostspieliges elektronisches Equipment aufbauen.

Der Platz der Wiedervereinigung kann noch eine weitere wichtige Funktion erfüllen – als deutsches Freiheits- und Einheitsdenkmal. Dies wäre die angemessene Antwort auf den problematischen Wettbewerb, der im zurückliegenden Jahr kein Ergebnis erbracht hat, weil der Standort gegenüber dem geplanten Stadtschloss sich nicht eignet. Und weil keine Denkmalskunst, kein physisches Objekt heutzutage die Intensität der Empfindungen zum Ausdruck bringen kann, die mit diesem bedeutenden historischen Umbruch einhergehen. Schließlich war die Wiedervereinigung das Werk jener Menschen, die in Leipzig, Berlin und anderen Städten die Obrigkeit herausgefordert haben, die auf die Straßen und Plätze gingen. Diese Zivilcourage kann am besten gewürdigt werden, wenn ein öffentlicher Raum geschaffen wird, an dem die Menschen sich zusammenfinden, nachdenken, feiern und die Früchte des Freiheitskampfs genießen. Beton und Ziegelsteine allein können dies kaum bewerkstelligen.

Den Platz vor dem Brandenburger Tor umzugestalten, ist keine pompöse, sondern eine klare, wenn auch nicht simple Aufgabe. Bürgerschaftlicher Stolz ist gefordert, um sie zu bewältigen. Das urbane Berlin ist weniger durch Bauten als durch offene Räume geprägt . Hier eröffnet sich die Möglichkeit, einen weiteren zu schaffen, der schön und bedeutend sein kann.

Zvi Hecker, geb. 1931, ist einer der bedeutendsten Architekten Israels. Er lebt und arbeitet in Berlin; hier baute er die Heinz-Galinski-Schule. – Aus dem Englischen von Stefanie Endlich.

Zvi Hecker

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