zum Hauptinhalt

New-Orleans-Romane: In Zeitlupe ertrinken

Man kann den Hurrikan nicht für alles verantwortlich machen. In der Kriminalliteratur hatte New Orleans zum Beispiel lange vor „Katrina“ einen festen Platz.

Man kann den Hurrikan nicht für alles verantwortlich machen. In der Kriminalliteratur hatte New Orleans zum Beispiel lange vor „Katrina“ einen festen Platz. Schuld daran ist James Lee Burke. Sein Serienheld Dave Robicheaux kehrt immer mal wieder zurück nach New Orleans, in die Stadt seiner Kindheit: Hitze, Sumpf und Korruption, Jazz und Jambalaya, und dazu schwüle, melancholische Erinnerungen an Mardi-Gras-Umzüge und rauschende Feste in den Villen der französischen Kolonialzeit. Burkes wehmütiger Grundton wurde durch den Hurrikan dann noch einmal kräftig verstärkt. „The Tin Roof Blowdown“ – einer seiner letzten Thriller, bisher nicht ins Deutsche übersetzt – spielt im Katastrophenaugust des Jahres 2005 und beschwört dramatisch den endgültigen Untergang der ehemaligen Südstaatenmetropole: New Orleans, ein Mythos, für immer vom Winde verweht.

Angesichts der Trauerarbeit, die Burke seit über dreißig Jahren kontinuierlich leistet, wirkt Sara Grans Roman „Die Stadt der Toten“ (Aus dem Amerikanischen von Eva Bonné. Droemer, München 2012, 360 S., 14,99 €) ziemlich pietätlos. New Orleans ist hier nichts als ein „Sumpf mit der landesweit höchsten Mordrate“. Der Hurrikan hat einfach nur alles schlimmer gemacht: „Überall brachten Menschen einander um. Der Unterschied war nur, dass in New Orleans keiner etwas dagegen unternahm.“ Claire DeWitt, eine durchgeknallte Privatdetektivin aus Brooklyn, New York, kommt in die Stadt, um den Staatsanwalt Vic Willing aufzuspüren, der seit dem Hurrikan verschwunden ist. DeWitt hat selbst eine Zeit lang in New Orleans gelebt, doch dem French Quarter und dem Rest der historischen Altstadt weint sie keine Träne nach. Der Geruch von Staub, Schimmel und Traurigkeit, der über der Stadt hängt, geht ihr auf die Nerven.

Die Geschichten über die Menschen, die in den Fluten ihr Leben gelassen haben, kann sie auch nicht mehr hören. „Es gibt keine unschuldigen Opfer“, zitiert sie aus Schriften ihres Lehrers, des legendären, selbstverständlich frei erfundenen französischen Privatdetektivs Jacques Silette: „Das Opfer wählt seine Rolle ebenso sorgfältig und unbewusst wie der Polizist, der Detektiv, der Auftraggeber und der Bösewicht. Ein jeder wählt seine Rolle und vergisst es dann, manchmal für Ewigkeiten – bis ihm jemand begegnet, der ihn an seine Wahl erinnert.“

Claire DeWitts Arbeitshypothese: dass der hochehrenwerte Staatsanwalt Vic Willing nicht einfach nur in den Fluten ums Leben gekommen ist, sondern dass er damals, mitten im Sturm, seinem Mörder begegnet ist. Und Claire DeWitts Methode: abwarten. Drogen konsumieren. Das I-Ging befragen. Mit alten Bekannten Streit anfangen. Sich eine Schusswaffe zulegen. Und immer mal wieder in Silettes kryptischem Standardwerk „Détection“ blättern. „Keiner ist unschuldig. Die Frage ist nur: Wie wirst du deinen Teil der Schuld tragen?“

Grans Roman ist nicht nur ein komplett unkonventionelles Post-Hurrikan-New-Orleans-Buch. Es ist auch eine der originellsten Detektivgeschichten der letzten Jahre. Ach, was: Jahrzehnte! Mal ganz ehrlich: Ich mag Detektivgeschichten, aber dieses Genre ist so staubig und schimmelig wie die morschen Südstaatenvillen in Louisiana, die auch ohne kräftigen Wind demnächst in sich zusammengefallen wären. Groß was kaputt machen musste Sara Gran – Jahrgang 1971, bisher in Deutschland kaum bekannt – darum also nicht. Stattdessen hat sie unter den Trümmern den philosophischen Kern des Detektivromans freigelegt: Ihre Ermittlerin Claire DeWitt sucht nicht den Mörder von Vic Willing, sondern sie sucht das Geheimnis, das zu ihm gehört und das er – wie die meisten Menschen! – vor anderen und auch vor sich selbst gut verborgen gehalten hat.

Dass wir uns selbst ein Rätsel sind, daran erinnert uns ein guter Detektivroman (wie „Die Stadt der Toten“). Oder ein Hurrikan (wie „Katrina“). Vic Willing ist in New Orleans auf jeden Fall nicht einfach so in den Fluten ums Leben gekommen. So einfach ist es ja fast nie. „Manche Menschen waren auf der Stelle ertrunken“, schreibt Sara Gran. „Andere ertranken in Zeitlupe, Stück für Stück, was Jahre dauern konnte. Und wieder andere ertranken, seit sie denken konnten.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false