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Kultur: Nicht von Pappe

Chris Rehberger hat das offizielle Berlinale-Plakat entworfen. Gestern erhielt er den Bundesdesignpreis

Im Vorbeigehen betrachtet sieht das Treiben in dem Ladenbüro am Strausberger Platz äußerst lässig aus. Junge, modern gekleidete Menschen sitzen an langen Tischen, starren in schicke Laptops und trinken Kaffee mit Milchschaum. Doch dies ist kein Ort, an dem die so genannte digitale Bohème ihr Leben verplempert. Hier, in der Grafikdesign-Agentur Double Standards, wird schwer gearbeitet. „Oft bis in den späten Abend hinein“, sagt Agentur-Chef Chris Rehberger.

In den zurückliegenden drei Monaten waren Rehberger und seine neun Mitarbeiter im Dauereinsatz. Im Auftrag von Berlinale-Chef Dieter Kosslick entwarfen sie das offizielle Plakat zu den 57. Filmfestspielen sowie dutzende Einladungen, Kinokarten und Flyer. Ein grafisch strenger Schriftzug zieht sich durch ihr Berlinale-Artwork. Farbliche Variationen heben sich vom schwarz-weißen Hintergrund ab und symbolisieren die verschiedenen Festivalsektionen. Als Grundlage dienten Rehberger und seinen Helfern Fotogramme, bei denen lichtempfindliches Fotopapier direkter Bestrahlung ausgesetzt wird.

„Wir haben unseren Entwurf bewusst von den bisherigen abgrenzen wollen“, sagt Chris Rehberger, „bislang waren die Plakate immer bunt, unsere sind akzentuiert bunt.“ Inspiriert hätten ihn die Arbeiten des amerikanischen Fotokünstlers Man Ray. Der experimentierte im vergangenen Jahrhundert mit fotografischen Effekten und entwickelte so neue Ausdrucksformen. Überhaupt ist Rehberger eher jemand, den die handwerklichen Aspekte des Berufs reizen, der gerne mit traditionellen Techniken arbeitet.

Chris Rehberger bezeichnet sich deshalb als „Old Schooler“. Dabei ist dieser Mann der alten Schule gerade mal 36 Jahre alt. Nach der mittleren Reife begann er in den 80er Jahren in seiner Heimatstadt Stuttgart ein Studium zum Grafikdesigner – möglich war ihm das durch seine „Begabtenmappe“. Nach dem Studium arbeitete er unter anderem für eine Werbeagentur in Frankfurt am Main und das Stadtmagazin Prinz. Danach zog es ihn nach London, weil seine Ehefrau dort Fotografie studierte. In der Zeit war Rehberger als Freischaffender für verschiedene Auftraggeber tätig.

Seit sieben Jahren lebt er nun in Berlin, gründete 2002 seine Agentur. Den Ausschlag für die Hauptstadt als neuen Wohn- und Arbeitssitz gab ein Schlüsselerlebnis: Da saß Rehberger während eines Berlin-Besuchs in einem Café in Mitte und traf innerhalb einer halben Stunde zufällig alte Freunde und Künstler. „Wenn die sich alle hier tummeln“, dachte er sich, „ist das schon ganz richtig, in Berlin zu bleiben.“

Mit dieser Entscheidung lag Rehberger offensichtlich richtig. Mittlerweile gehören der Hamburger Bahnhof, die Schirn Kunsthalle Frankfurt, das Alte Museum, Filmschaffende, Clubbesitzer und Plattenfirmenbetreiber zu seinen Kunden. Für die Nachwuchsboxer-Kampagne des Hebbel am Ufer nahm Rehberger gestern in Frankfurt am Main den Designpreis der Bundesrepublik Deutschland entgegen. Verliehen wird der vom Bundeswirtschaftsministerium. Wie sich Rehberger den Erfolg erklärt? „Wir sind sehr zielgerichtet in unserem Denken und Handeln.“ Man könnte auch sagen: Mit ihren aufs Wesentliche reduzierten Entwürfen sind der Agentur-Chef und sein Team am Puls der Zeit.

Deshalb ist Chris Rehberger auch über die Kritik an seinem Berlinale-Plakat erhaben. Der von Cineasten geäußerte Vorwurf, es sei künstlerisch wenig anspruchsvoll, prallt an ihm ab: „Ich kann es nicht jedem recht machen – das will ich auch gar nicht.“ Zeit, um sich selbst einen Film während des Festivals anzusehen, bleibt ihm wenig. Gerade erst hat er mit dem Kunstmuseum Wolfsburg und der Mailänder Fondazione Prada zwei neue Kunden akquiriert. Künftig wird das Licht in dem Ladenbüro am Straußberger Platz abends noch etwas länger brennen.

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