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Kultur: Nieder mit Amerika, Kampf den Despoten Die meisten Araber trauen weder

den USA noch den eigenen Herrschern Von Michael Lüders

Die von Wut und Erregung getragenen Demonstrationen nach der Freitagspredigt, als vor allem in Kairo und der jemenitischen Hauptstadt Sanaa Zehntausende durch die Straßen zogen, geben einen ersten Eindruck von der explosiven Stimmung, die sich in der arabischen Welt aufbaut – und der Krieg im Irak hat gerade erst begonnen. Der Protest richtet sich gegen zwei gleichermaßen verhasste Gegner: die amerikanische Regierung und die eigenen Regime. Niemand in der arabischen Welt glaubt Washingtons Beteuerung, man wolle im Irak Freiheit und Demokratie verwirklichen. Der Krieg wird vielmehr als ein imperialer Feldzug gesehen, mit dem Ziel, sich das irakische Erdöl zu sichern, und – schlimmer noch – als ein modernes Kreuzrittertum, das sich gegen den Islam und gegen die Araber richtet.

Da die Regime der arabischen Welt allesamt nicht demokratisch legitimiert sind und in der eigenen Bevölkerung nur wenig Rückhalt genießen, fürchten die Herrscher jetzt eine Explosion der Straße: der IrakKrieg als Misstrauensvotum. Die Menschen skandieren „Nieder mit Amerika“, aber jeder versteht die darin enthaltene Losung: nieder mit den eigenen Despoten.

Dass sich Freiheit und Demokratie zuerst im Irak implantieren lassen, um anschließend die ganze arabische Welt zu erfassen, ist neo-koloniales Wunschdenken. Washington hat seine Glaubwürdigkeit bereits verspielt: Zum einen wegen der einseitigen Unterstützung Israels auf Kosten der Palästinenser. Und zum anderen, weil Washington – und gleichermaßen Europa – in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder bewiesen hat, dass Demokratie lediglich pro-westlich meint. Solange die Regime für Ruhe und Ordnung im eigenen Land sorgen und die Islamisten in Schach halten, können sie mit der wohlwollenden Unterstützung des Westens rechnen. Das gilt für Algerien ebenso wie für Ägypten oder Saudi-Arabien. Die Verlierer dieser Politik ist ausgerechnet die demokratische, säkulare Opposition, die zwischen die Fronten von Sicherheitskräften und islamischen Fundamentalisten gerät.

Um die „innere Befindlichkeit“ der arabischen Welt zu verstehen, muss der Westen zur Kenntnis nehmen, dass seine Wahrnehmung der Konflikte im Nahen und Mittleren Osten sich grundsätzlich von der Selbstwahrnehmung dort unterscheidet. So dürfte es schwer fallen, der arabischen Öffentlichkeit glaubwürdig zu erklären, warum im Falle des Irak die Nichtbefolgung der UN-Resolution 1441 dramatische Konsequenzen zur Folge hat, während Israel seit 1967 ungestraft sämtliche Resolutionen ignoriert, die einen Rückzug aus den besetzten Gebieten oder auch nur die Rückkehr an den Verhandlungstisch zum Inhalt haben. Wenn man verstehen will, warum die Wut und der Hass auf den Westen, und vor allem auf die USA in der gesamten islamischen Welt so groß ist, warum es Terror im Namen Allahs gibt, warum die Verbrennung amerikanischer Fahnen von Marokko bis Indonesien ein Volkssport ist – hier liegt eine der Antworten.

Eine andere ist der Umgang mit dem Irak. Die nach dem irakischen Überfall auf Kuwait 1990 verhängten Wirtschaftssanktionen hatten dramatische Folgen für die Zivilbevölkerung. Nach Angaben von Unicef sind mindestens eine Million Iraker wegen des Mangels an medizinischer Versorgung und Medikamenten oder an Unterernährung gestorben. Francois Mitterrand bezeichnete dieses Verbrechen an der irakischen Zivilbevölkerung einmal als „Genozid“. In der arabisch-islamischen Welt wurde dieses Sterben sehr genau registriert, und es hat die dortige Öffentlichkeit ebenso „aufgewühlt“ und emotionalisiert wie die Palästinafrage. Da die Politik Washingtons in beiden Fällen als Ursache für das Leid von Arabern und Muslimen gilt, werden amerikanische Soldaten im Irak kaum als Befreier begrüßt. Im südlichen, von Schiiten bevölkerten Landesteil treffen die vorrückenden Einheiten auf heftige Gegenwehr. Hier hat man vermutlich nicht vergessen, dass die US-Regierung 1991 die Bevölkerung erst zum Aufstand bewog, um sie dann schutzlos den Republikanischen Garden des Despoten anheimfallen zu lassen. So zeichnet sich ab, wovor Nahostexperten vergeblich gewarnt haben: Der Irak reagiert als Stammes-Gesellschaft, die jeden Eindringling als Aggressor empfängt.

Nichts bezeichnet die unterschiedliche Wahrnehmung deutlicher als die Vokabel vom Freiheitskampf: Während der Westen zu den Gewinnern der Globalisierung und der neoliberalen Wirtschaftsordnung zählt, rechnen sich die Menschen in der arabisch-islamischen Welt mehrheitlich zu ihren Verlierern. Das Gefühl von Verletzbarkeit, „Minderwertigkeit“ und Ausgrenzung ist angesichts der Jahrhunderte währenden Hochkultur ein fruchtbarer Nährboden für Hass und Gewalt, auch für Terrorismus. Es ist naiv anzunehmen, unsere Hegemonie ließe sich auf Dauer gegen die Bedürfnisse und Forderungen von weltweit mehr als 1,3 Milliarden Muslimen verteidigen, auch mit militärischen Mitteln. Westlichen Intellektuellen darf man in diesem Zusammenhang übrigens ein eklatantes Versagen bescheinigen. Ihre Bereitschaft, sich mit anderen Kulturen zu befassen und ihren Beitrag zum Dialog zu leisten, tendiert gegen null. Lieber wird von der „Verteidigung westlicher Werte“ fabuliert, als Reaktion auf den „islamischen Fundamentalismus und Terror“, wobei gerne unterstellt wird, der Islam sei per se fanatisch und irrational, gewissermaßen einem koranischen Imperativ folgend. Es ist ein Denken für den Fronteinsatz.

Der Autor ist Islamwissenschaftler und arbeitet für die Friedrich-Ebert-Stiftung. Foto: dpa

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