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Kultur: Nirgendwo in Europa

Bestseller-Autor Henning Mankell inszeniert in Frankfurt sein Stück „Zeit im Dunkel“

Ein junges Mädchen mit dunklen Haaren und dunkler Haut steht in einem schwedischen Rapsfeld. Der Bauer findet das seltsam, fürchtet um seine Ernte und ruft die Polizei. Weil alle Beamten im Einsatz sind, fährt Kommissar Wallander selbst hin. Als er versucht, sich dem Mädchen zu nähern, überschüttet es sich mit Benzin und hält sich ein brennendes Feuerzeug ans Haar. Im nächsten Augenblick lodert sie auf wie eine Fackel. Das Bild des brennenden Mädchens wird Wallander verfolgen. Später entdeckt er ein paar Bruchstücke ihres Lebens: dass sie Dolores Maria hieß, aus der Dominikanischen Republik kam, einem Mädchenhändlerring in die Hände gefallen war. Was aber muss ein Mensch erlebt haben, um sich mit Benzin zu übergießen und zu verbrennen?

In Henning Mankells Roman „Die falsche Fährte“ wird das Rätsel um den Selbstmord nicht wirklich gelöst, da ist diese Geschichte auch nur ein winziges Puzzlestück in einem komplizierten Kriminalfall. In Mankells Theaterstücken dagegen werden Menschen wie Dolores Maria plötzlich zu Protagonisten.

Zwei namenlose politische Flüchtlinge sind das nun in seinem Stück „Zeit im Dunkeln“: ein Vater und seine Tochter, die es aus einem unbestimmten islamisch-afrikanischen Land ins kalte Schweden verschlagen hat. Unsichtbare Dritte ist die Mutter, die auf der Flucht ertrunken ist. Für deren Tod macht die Tochter den Vater verantwortlich: „Warum hast du Mutter losgelassen?“, fragt sie bohrend immer wieder. Von Menschenschmugglern per Boot über die Meerenge von Gibraltar, später im Container übers Festland verfrachtet, hausen sie in einem kellerartigen Gewölbe, immer in der Angst vor Entdeckung und in Erwartung von Papieren, mit denen sie nach Kanada oder Australien weiterwollen.

Henning Mankell sagt, er wolle nicht in einem Europa leben, in dem Tag für Tag, in Spanien oder Rotterdam, tote Menschen ankommen. Deren Katastrophen aber sind für uns zu unfasslich , um im Theater verkörpert zu werden. Seit langem treibt den gerade 55 gewordenen schwedischen Schriftsteller aus Afrika, der „mit einem Fuß im Schnee lebt, mit dem anderen im Sand“, die Frage um: Was gibt es Schrecklicheres eine illegale Existenz ? Mit dem Theater will der Bestsellerautor und Leiter einer Schauspielgruppe dabei keine Tagespolitik betreiben, sondern zeigen, „was mit Menschen passiert, die immer eingeschlossen sind“. Mit Menschen, die ohne Identität im Untergrund leben müssen.

Mankell hat sein Zweipersonenstück jetzt am Schauspiel Frankfurt selbst inszeniert. Ein Glücksfall ist hier die Besetzung: Nicola Gründel spielt die zarte, starke Tochter, die zuerst immer brav Einkäufe macht, kocht, putzt, dem Vater, so gut es geht, die Mutter ersetzt und dann rebelliert. Udo Samel ist der Vater, der langsam verelendet, der sich nicht wäscht, aber dauern an seinen Schuhen herumbürstet, nicht aus dem Haus geht, Stimmen hört, minutiös die Ausgänge der Tochter kontrolliert und dabei verzweifelt bemüht ist, seine längst verlorene Autorität künstlich aufrecht zu erhalten. Einmal versucht er sogar, sie zu vergewaltigen. Ein Domestizierungsversuch – oder hält er die Tochter für die Mutter?

Feuer ist auch in „Zeit im Dunkel“ ein Leitmotiv: Wie in einem Ritual verbrennt die Tochter ihre Haare. Die hat sie abgeschnitten, weil sie nicht mehr „unsichtbar“ sein, zum ersten Mal etwas Selbstbestimmtes tun wollte. Und später übergießt der Vater die Tochter und sich selbst mit Benzin, zündet ein Streichholz nach dem anderen an. Sein patriarchalisches Weltbild ist ins Wanken geraten. Die Tochter hat sein Hochzeitsfoto zerrissen und ihm damit nicht nur den letzten Rest an alter Identität geraubt. Sie hat das bis dahin mühsam aufrecht erhaltene Kräfteverhältnis zwischen den beiden auf den Kopf gestellt. Plötzlich hat nicht mehr er das Sagen, sondern sie nimmt die Dinge in die Hand. Während der Vater immer noch der Illusion nachhängt, er könne in Kanada oder Australien mit neuen Papieren ein neues Leben anfangen, sieht die Tochter die Realität und versucht, in Schweden eine Existenz aufzubauen. Am Ende nimmt die Tochter dem Vater die ausgebrannte Streichholzschachtel aus der Hand. Und der beginnt wieder, manisch seinen Schuh zu bürsten.

Mankell gibt von den beiden nur der Tochter eine Zukunft. Vielleicht wird er in fünf, sechs Jahren – „wenn ich solange lebe“ – eine Fortsetzung schreiben. Im Kleinen Haus des Schauspiel Frankfurt hat er im der schwarzen kahlen Kellerloch–Bild von Anna Bergman in zwei Stunden ein intensives Kammerspiel inszeniert. Allerdings hätten ein paar Striche im häufig redundanten Dialog noch mehr zur Spannung beigetragen.

Sabine Heymann

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