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Kultur: Nische als Chance

Das Gorki-Theater wird sechzig.

Brecht ist schuld. Ohne Brechts Berliner Ensemble, das 1949 ins Leben gerufen wurde, gäbe es das Maxim-Gorki-Theater nicht. Das BE stand bei den Behörden nämlich unter heftigem Formalismus-Verdacht, da gründete man ein Gegentheater: „Einfühl-Theater gegen Zeigetheater“, wie es die Schauspielerin Monika Lennartz, die 1962 ans Haus kam, in einem Interview sagte.

Das Maxim-Gorki-Theater, untergebracht in dem Schinkel-Gebäude der Sing-Akademie, sollte ab 1952 den Berlinern die russische und klassische Literatur in einer Spielweise nahe bringen, die „sozialistischer Realismus“ genannt wurde (sich aber kaum von der bürgerlicher Vorgängermanier unterschied). Der erste Intendant, Maxim Vallentin, ein Schüler Stanislawskis, inszenierte Gorki, Becher und Friedrich Wolf. Doch wenn die Kollegen vom Berliner Ensemble vorbeischauten, amüsierten sie sich wie Bolle über die schlecht gemachte Kopie des Moskauer Künstlertheaters.

Das Gorki-Theater ist nicht nur das kleinste der Berliner Staatstheater, es ist immer im Aufmerksamkeitsschatten von Berliner Ensemble, Deutschem Theater und Volksbühne geblieben. Es gab legendäre Inszenierungen, aber die glücklichen Momente konnten nicht, wie an anderen Häusern, in die Dauer gerettet werden. Auf Vallentin folgte 1968 der Schauspieler Albert Hetterle, der 26 Jahre im Amt blieb, bis 1994. Unter seiner Leitung fanden die vielleicht berühmtesten Inszenierungen statt, beide von Thomas Langhoff: Tschechows „Drei Schwestern“ von 1977 und „Die Übergangsgesellschaft“ von Volker Braun, die 1988 den Zusammenbruch der DDR vorwegnahm. Für Langhoff war das Gorki vor allem Sprungbrett zum Deutschen Theater, genauso wie für Bernd Wilms, der schon am Gorki das unaufgeregte, aber präzise Schauspielertheater pflegte, für das er später am DT die Lorbeeren einheimste.

Von einer Ära lässt sich erst mit Armin Petras sprechen, der 2006 das Ruder übernahm. Im Nachhinein kann man Petras gar nicht dankbar genug für die Art sein, mit der er den konstitutionellen Nachteil des Hauses in produktive Energie verwandelte. Nische als Chance! Petras rief das Abstrampeln zum kraftintensiven Prinzip aus, schöpfte aus der Kleinheit den Charme der eingeschworenen Truppe. Ein überschaubares Ensemble bringt viele, meistens kurze, meist mit Medientechnik und E-Gitarre ornamentierte Abende heraus, die ihren Schwerpunkt auf amüsantes Geschichtenerzählen legen. Das Gorki spielte kurzatmig und trotzdem locker auf. Verfremdung und Identifikation! Das ergibt auf Dauer, auch weil man sich da auf die Dramatisierung von Romanen kaprizierte, intelligentes Oberstufentheater, das den Willen zum Unbedingten scheut. Petras geht im nächsten Jahr nach Stuttgart, es kommt Shermin Langhoff vom Ballhaus Naunynstraße mit ihrem „postmigrantischen Theater“. Das Gorki tritt aus dem Schatten, gerade weil es trotzdem Nische sein darf? Am heutigen Dienstagabend wird erst einmal gefeiert. Andreas Schäfer

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