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Hochleistungsport. Angélique Kidjo, 56, tobt mit Tempo über die Bühne. Ihr Stil ist aus afrikanischen Tänzen entwickelt.

©  Uwe Arens

Angélique Kidjo im Konzerthaus: Noch lange nicht genug

Hochleistungssport: Angélique Kidjo gibt einen Powerabend im Konzerthaus – und besingt die Widerstandskraft und Schönheit der Frauen in Afrika.

Nur von der Galerie oben im Konzerthaus am Gendarmenmarkt ist ihr heller Schopf noch zu sehen. Unten im großen Saal steht Angélique Kidjo ganz unmittelbar vor ihrem Publikum. Sie hat die Bühne verlassen und tanzt durch den gesamten Raum. Die Menschen öffnen ihr eine enge Gasse, durch die sie tänzelt und sie klatscht Hände ab, oder hält ihren Besuchern einfach gleich ein Mikrofon vor die Nase. Da hat die Sängerin aus dem westafrikanischen Benin mit Wohnsitz in New York schon knapp zwei Stunden Hochleistungssport und Gesang hinter sich. Nach ihrem Ausflug ins Publikum bittet sie 20 Leute zum Tanzen auf die Bühne – und nun ist sie ganz bei sich.

Angélique Kidjo ist eigentlich schon immer da. Seit Ende der 1980er Jahre veröffentlicht sie ihre Musik und gehört zum festen Stamm der kleinen, aber feinen Weltmusikgemeinde. Der Musik ihrer Heimat Benin ist sie schon früh entwachsen, obwohl sie bis heute auf Fon und Yorukba singt, zwei Sprachen, die in dem kleinen westafrikanischen Land gesprochen werden. Sie hat die Musik von zu Hause auch nicht aus ihren Liedern herausgedrängt. In vielen Songs klingt sie durch. Aber sie hat ihren musikalischen Horizont schnell erweitert um Afro-Pop, um Rhythm & Blues, um Rumba und afro-karibische Musik.

1982 hat Angélique Kidjo Benin verlassen. Dort stand sie schon früh mit ihrer Mutter, deren Stimme bei einem Song im Konzerthaus die Halle auch füllt, auf der Bühne. Die Mutter betrieb ein Theater. Der 2008 verstorbene Vater dagegen forderte von seinen Kindern, ihr Hirn zu benutzen. Er brachte Bücher nach Hause, erzählt sie auf der Bühne. „Auch Goethe. Er wollte, dass ich Deutsch lerne“, erzählt sie. Ganz am Anfang hatte sie ihr Publikum in perfektem Deutsch begrüßt. Fünf Jahre habe sie in Deutschland gelebt, aber „ich habe die Sprache völlig vergessen, weil niemand Deutsch mit mir spricht“. Sie macht auf Englisch weiter.

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Die junge Angélique Kidjo sah im damals sozialistischen Benin keine Zukunft, zumal sie keine Lobgesänge auf die Regierung sang. Also ging sie nach Paris. Dort versuchte sie sich an einem Jurastudium, das sie schnell wieder sein ließ. Sie habe erkannt, dass ihr das Studium des Rechts nicht helfen würde, wenn sie sich für Menschenrechte einsetzen wollte. Aber in Paris hörte sie zum ersten Mal die afrikanische Diva, die es schon vor Kidjo in den internationalen Musikzirkus geschafft hatte: Miriam Makeba. „So wollte ich auch sein“, erzählt sie, bevor sie Makebas berühmtestes Lied anstimmt: Pata Pata. Zuvor hatte sie schon Maleika gesungen, in „fürchterlichem Suaheli“, wie ein sprachkundiger Besucher anmerkte. „Aber die Stimme ist toll“, fügte er noch hinzu. Und das fanden so ziemlich alle, die ins Konzerthaus gekommen waren.

Angélique Kidjo hat schon früh angefangen, ihre Prominenz zu nutzen, um politische Veränderungen anzustoßen. Seit 2002 ist die Botschafterin der Kinderrechtsorganisation der Vereinten Nationen (Unicef). Sie gründete eine Stiftung, Batonga, die in den ärmsten und abgelegensten Regionen in Benin, in Äthiopien oder Tansania in Schulen für Mädchen investiert. Den Mädchen dieser Schulen, „die sehr misstrauisch waren am Anfang“ hat sie mit ihrem Lied „Kulumbu“ ein Denkmal gesetzt. Direkt im Anschluss sang sie den Hilferuf eines jungen Mädchens, das mit 14 oder 15 Jahren „an einen viel älteren Mann verheiratet worden war“. Die Erzählungen dieser Teenager-Mütter, die überlebt haben – „viele dieser Kinder überleben diese frühen Schwangerschaften nicht“ – hat sie in einem weiteren Song verarbeitet. Kidjo singt in ihrem Berliner Konzert noch mehr Lieder von ihrem jüngsten Album „Eve“ aus dem Jahr 2014. Sie wolle den Frauen in Afrika damit ihre Referenz erweisen, erzählt sie auf der Bühne, „ihrer Widerstandskraft und ihrer Schönheit“. Dazu stolziert sie in ihrem afrikanischen Gewand über die Bühne. Ihr pink gemustertes Kleid hat allerdings eine Besonderheit, die auf den Märkten in Benin eher ungewöhnlich wäre: vorne ist die Robe ein Minirock. Was die Frauen dort aber immer wieder ärgert, ist ihr Nachrichtendasein als „geborene Opfer“. Sie werde oft gefragt, erzählt Kidjo, ob die Frauen in Europa oder Amerika „denn nie Probleme haben“. Und sie erzählt von den Frauen, die ihr dafür danken, dass die Musikerin „unsere Geschichte erzählt, und uns unsere Identität zurückgibt“.

Trommeln und Bongos

Angélique Kidjo steht mit drei Musikern auf der Bühne, und es ist eine wahrlich globale Band, die sie sich da zusammengestellt hat. Der in Frankreich geborene Bassist Ben Zwerin, der inzwischen in Brooklyn lebt, schafft das Kunststück, sein Instrument tanzend zu spielen. Immer wieder sind er und der New Yorker Gitarrist Dominic James auch als Tanzpartner Kidjos gefragt. Edgardo „Yayo“ Serka Mimica aus Chile liefert am Schlagzeug die rhythmische Grundlage für den Auftritt. Und der Percussionist Magatte Sow aus dem Senegal vervollständigt die Band mit afrikanischen Trommeln und Bongos. Mehr als zwei Stunden lang tobt die 56 Jahre alte Sängerin in gewaltigem Tempo über die Bühne. Ihr Stil, den sie aus afrikanischen Tänzen entwickelt hat, kostet Kraft, aber sie ist kaum zu bremsen. Kidjo lässt sich auch am Ende des Konzerts nicht lumpen und kommt noch zwei Mal auf die Bühne. Die erste Zugabe ist das Lied, auf das wohl alle gewartet haben, ihr erfolgreichster Song „Agolo“. Kidjo singt ihn, als hätte sie noch lange nicht genug davon.

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