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Das Bard College in Dutchess County, New York. Hier war der rumänische Schriftsteller lange Jahre als Gastprofessor tätig. 

© mauritius images / P.Spiro / Alamy

Norman Maneas Buch „Der Schatten im Exil“: Tagebuch einer New Yorker Schnecke

Der große rumänische Schriftsteller hat ein autofiktionales Memoir mit ausgedehnten essayistischen Exkursen, Briefwechseln und Tagebucheinträgen geschrieben.

Eine eigentümliche Spannung und düstere Heiterkeit grundieren das Prosawerk des Rumänen Norman Manea seit seinem Debüt „Oktober, acht Uhr“ aus dem Jahr 1981. In der Titelerzählung treiben die Auswüchse der verheerenden Mangelwirtschaft unter der Ceauşescu-Diktatur surreale Blüten, etwa beim Anblick der wenigen heißbegehrten Kohlköpfe auf dem Wochenmarkt. Den Blumenkohl vergleicht der Erzähler dabei mit der „Wucherung riesiger Gehirne vom Mars“.

Die Fiktion hat Norman Manea im Lauf seiner mehr als zwanzig Bücher zu Gunsten der Essayistik reduziert, was man bedauern kann. 2012 erschien mit „Die Höhle“ ein sinnlicher Thesenroman über die geistigen Nachwirkungen des prominenten Exilanten Mircea Eliade in den USA – ein faszinierendes Paradoxon, wie es nur dieser Autor ersinnen kann. Er wurde 1936 in Suceava in der Bukowina geboren und hatte als Kind einen deutschen Hauslehrer.

Es überrascht nicht, dass auch Maneas neues Buch „Der Schatten im Exil“ kein Roman im eigentlichen Sinn ist. Vielmehr handelt es sich um ein autofiktionales Memoir mit ausgedehnten essayistischen Exkursen, Briefwechseln und Tagebucheinträgen, gegossen in die äußere Form eines Campus-Romans – der Autor war viele Jahre als Professor für Literatur am New Yorker Bard College tätig. Sein alter Ego findet Anstellung am „Buster-Keaton-Kolleg“, was ihn in regen Kontakt mit der Damenwelt bringt. So zieht etwa „Das Tagebuch der Eva Lombardini“ dem Text ein raffiniert erotisch-narratives Netz ein.

Es beginnt mit Geheimdienst-Verhören

Der Erzähler, der die Initialen des Autors N.M. trägt, berichtet von seinem Schicksal, beginnend Mitte der 1980er Jahre mit den absurden Geheimdienst-Verhören bei der Passbehörde. In Rumänien galt Norman Manea als Staatsfeind, nachdem er in einem Interview den schwelenden Nationalismus und Antisemitismus kritisiert hatte. 1986 konnten er und seine Frau Cella ausreisen. Dank eines DAAD-Stipendiums gelangten sie zunächst nach Berlin, wie einst Adelbert von Chamisso, „französischer Katholik, großer Botaniker und romantischer Dichter“.

Als ideellen Weggefährten erwählt sich der selbsterklärte „Wanderer“ N.M. folgerichtig Peter Schlemihl, jenen etwas naiven jungen Mann, der in Chamissos Erzählung aus dem Jahr 1813 bei einer Gartengesellschaft einem Fremden seinen Schatten verkauft.

Den wegen der Französischen Revolution nach Berlin emigrierten Chamisso betrachtet Manea als eine Art Bruder im Geiste und den Namen Peter Schlemihl als „burleske Annäherung von Christentum und Judentum“: Der Name des christlichen Apostels Petrus trifft auf Schlemihl, was laut Talmud „von Gott geliebt“ bedeute. Generell hat die Auseinandersetzung mit dem Judentum für Norman Manea in der Fremde entscheidend an Bedeutung gewonnen. Berlin steht aber auch für kapitalistische Phänomene wie das Kaufhaus des Westens, für seinen erzlinken Freund Günther „das Bordell der Völlerei! Die Pornographie des Wohlstands und der gastronomischen Überspanntheit“. Günther bleibt samt seinem Archiv als Briefpartner präsent.

Nach einigen Wirren in New York angelangt, trifft der Erzähler dort endlich seine Halbschwester wieder, die sagenhafte, unfassbare „Tamir, Tamar (Mara? Agathe)“: „Ja, die Schwester war noch genauso schön. Auch sie befand sich in der Neuen Welt, was der Grund dafür war, dass der Exilierte über Länder und Meere gehüpft war, um auch für sich selbst die Ehre eines Heimatlosen zugesprochen zu bekommen.“

Als Kinder hatten die Geschwister im Zweiten Weltkrieg ein Arbeitslager in Transnistrien überlebt. In diese Region hatte das faschistische Antonescu-Regime circa 200.000 Juden deportiert. Norman Maneas Großeltern kamen dort ums Leben, weil ihnen medizinische Hilfe verweigert wurde. Das schilderte er in der ergreifenden Erzählung „Der Pullover“, die Heinrich Böll 1980 an die Zeitschrift „Akzente“ vermittelte.

Nun, beim Spaziergang in einem Park in Washington D.C., zertritt Tamar beinahe eine Schnecke. Die Geschwister heben sie vom Weg auf und domestizieren sie: „Die Freundschaft des Nomaden mit George ist kein Zufall. Die rätselhafte Schnecke hat ebenso wie mein nomadischer Freund Lösungen gefunden für ein Leben als einsamer Wanderer.

Beide ziehen sie sich in ihr Gehäuse zurück und ignorieren die Reize ringsum.“ Fortan gerät die Beschäftigung mit Schnecken, den hermaphroditischen Einzelgängern im mobile home, dem Erzähler zur Obsession. Manea erwähnt Patricia Highsmiths Roman „Der Schneckenforscher“, in dem der Titelheld von den adorierten Weichtieren überwuchert wird. Da liegt der Gedanke an Günter Grass‘ Wahlkampfnotizen „Aus dem Tagebuch einer Schnecke“ (1972) nicht fern.

Diese vielfältigen, auch widerstrebenden Elemente werden von Norman Maneas spezifischer Ironie und seinem funkelnden Wortwitz durchdrungen, was Ernest Wichner in ein entsprechend luzides Deutsch gebracht hat. Nur zu einem Roman will sich das ebenso weise wie sympathische Exil-Potpourri nicht recht fügen.

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