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Kultur: Notwendige Reformen für das Filmfestival (Kommentar)

So viel roter Teppich war nie. Ja doch, es ist schön, wenn die Berliner am Marlene-Dietrich-Platz stehen, um George Clooney, Gong Li und Jeanne Moreau zu feiern.

So viel roter Teppich war nie. Ja doch, es ist schön, wenn die Berliner am Marlene-Dietrich-Platz stehen, um George Clooney, Gong Li und Jeanne Moreau zu feiern. Kein Vergleich zum hektischen Gedrängel, früher vorm Zoo-Palast.

Kein Mensch hätte noch im Vorjahr daran geglaubt, dass die Pleiten und Pannen des Berlinale-Umzugs zur Eröffnung vergessen sein würden. Aber seit Mittwoch wird die einstige Brachfläche zwischen Ost und West wie selbstverständlich auch von der Filmwelt belebt. Cineasten flanieren zwischen Daimler- und Sony-Gelände, Filmfreaks stehen Schlange vor den Kassen in den Arkaden. In den Cafés von Berlins neuer Mitte herrscht auch spät abends noch drangvolle Enge, während die Kinosüchtigen zwischen Cinemaxx- und Cinestar-Sälen wechseln und schon nach drei Festivaltagen im Rausch der Bilder ertrinken.

Der neue Spielort tut gut. Der Berlinale-Palast bietet endlich den glamourösen Rahmen, den das Festival so dringend brauchte. Selbst Moritz de Hadeln tritt darin weltmännisch auf, als charmanter Gastgeber, wie am Freitagabend zur bewegenden Ehrung Jeanne Moreaus. Das haben wir bei ihm bisher immer vermisst. Sogar die Sonne schaut zu, als wolle sie all die kalten, lieblosen Berlinale-Februar-Wochen der vergangenen Jahrzehnte überstrahlen.

Allein, ein neuer Rahmen macht noch kein neues Bild. Was fehlt, mehr denn je, ist ein anderes, ein verändertes Festival. Ein Festival, das auf Klasse statt auf Masse setzt. Nichts gegen Oliver Stone, Volker Schlöndorff und Milos Forman im Wettbewerb. Aber gibt es nicht inzwischen auch eine jüngere Regie-Generation? Die Französin Laetitia Masson, die mit ihrem dritten Film nun endlich im Wettbewerb gezeigt wird (ihr aufregender Erstling "Haben oder nicht" lief 1995 in Venedig), macht noch keinen Festival-Frühling.

Ein Umzug allein genügt nicht. Die Berlinale der Zukunft braucht einen risikofreudigen Wettbewerb, der eine erlesene Auswahl präsentiert, keine bewährte Mischung. Sie braucht ein drastisch reduziertes Gesamtprogramm, das die berüchtigte Rivalität zwischen den Sektionen Wettbewerb, Panorama und Forum in belebende Konkurrenz verwandelt, wie die in Cannes zwischen Wettbewerb und Quinzaine. Nur dann haben einzelne Film die Chance auf jene Beachtung, die sie verdienen. Gewiss laufen in Berlin nicht weniger gelungene Produktionen als in Cannes oder Venedig. Aber sie wirken wie Zufallstreffer: Bei 300 Filmen ist halt immer was dabei.

"Auf keinem Festival der Welt herrscht ein solches Chaos unkoordinierter Sektionen, nirgends flottiert der Besucher so hilflos in einer amorphen Masse. Aufgeblähte Unterabteilungen und Sonderschienen verwässern zusätzlich das traditionelle Profil des Programms." Das schrieb Wolf Donner, der die Berlinale in den Siebzigern drei Jahre lang leitete, 1993. Sein Befund trifft immer noch zu, auch am Potsdamer Platz. Cannes, das ist Spektakel und Glamour. Venedig ist Schauplatz der Filmkunst und die Berlinale das Publikumsfestival. Daran braucht sich nichts zu ändern. Aber die Balance zwischen Kassenschlagern, Autorenkino und Avantgarde muss in Berlin neu austariert werden. Filme wie "The Beach", "Der talentierte Mr. Ripley" oder "The Hurricane" laufen in Venedig in einer speziellen Publikumsreihe. In Berlin verzerren sie den Wettbewerb zum Durchlauferhitzer und zur PR-Show für den amerikanischen Mainstream.

Die alle Jahre gebetsmühlenartig wiederholte Kritik an der Programmstruktur der Berliner Filmfestspiele wird nicht deshalb falsch, weil sie nicht neu ist. Also noch einmal: Auch im Jahr 2000 stellen die US-Majors mehr als ein Drittel der Film des Hauptprogramms, und wie üblich sind etliche dabei, die in den USA längst gestartet sind. Und auch in diesem Jahr hat man den Eindruck dass die drei Festivalleiter de Hadeln, Ulrich Gregor und Wieland Speck ihr Programm eher gegen- als miteinander gestaltet haben.

Der Berliner Kultursenat kann den Vertrag mit Moritz de Hadeln zum nächsten Jahr kündigen. Er sollte es tun, allen Verdiensten des langjährigen Chefs zum Trotz. Denn die überfällige Programmreform kann nur eine neue Leitung bewerkstelligen. Nach dem "System de Hadeln" muss ein neues ersonnen werden. Eines, in dem ein Cineast als Direktor die künstlerische Verantwortung übernimmt und ein Präsident die vielen großen und kleinen Berlinale-Planeten auf eine sinnvoll koordinierte Umlaufbahn schickt. Erst dann hat sich der Neuanfang am Potsdamer Platz wirklich gelohnt.

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