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Die ehemalige Abhörstation des US-Geheimdiensts auf dem Berliner Teufelsberg

© picture alliance / dpa

NSA-Skandal: Was der Skandal um Edward Snowden und Prism auch über die USA verrät

Amerika hat einen anderen Freiheitsbegriff als Europa. Sicherheit ging immer schon vor, auch wenn die Freiheitsideologie bis heute hoch gehalten wird. Der NSA-Skandal beweist erneut, wie sehr die amerikanische Politik von Furcht geprägt ist.

Amerikanische Präsidenten hatten schon immer einen technologischen Vorsprung. Im Weißen Haus kann man Sex haben, ohne Sex zu haben (Bill Clinton), man kann auch Dope rauchen, ohne zu inhalieren (nochmal Clinton). Man zeigt Aufnahmen von Schrottlastwagen in der Wüste, um die Existenz von Massenvernichtungswaffen zu beweisen und einen Angriffskrieg zu legitimieren (George W. Bush, mit Colin Powell). Und neuerdings können US-Geheimdienste drei Milliarden Telefonate täglich verfolgen, wobei es nur um die Länge des Gesprächs und die Telefonnummern gehen soll, aber nicht um die Namen der Teilnehmer und den Inhalt der Kommunikation.

Dieses neue Kunststück hat Barack Obama vor einer Woche erklärt – ohne irgendetwas zu klären. Keine Details. Nur das ganz große Bild: Amerika müsse eine Balance zwischen Privatsphäre und Sicherheit finden. Hundert Prozent Sicherheit und hundert Prozent Schutz des Privaten und dabei keinerlei Unannehmlichkeiten, das könne es nicht geben. Sagt Obama, der Anwalt und Verfassungsrechtler ist. Er spricht von abzuwägenden Eingriffen in die Privatsphäre, gebraucht aber das Wort Freiheit hier nicht.

Das ist im Grunde auch nicht nötig, denn der in den USA vorherrschende Freiheitsbegriff meint in erster Linie Sicherheit. „Land of the free, home of the brave“, heißt es in der Nationalhymne. „The brave“, die Tapferen, sind diejenigen, die das Riesenland verteidigen. Auf die vor allem ist der zweite Zusatzartikel zur Verfassung gemünzt – das Recht, Waffen zu tragen. Im „First Amendment“ heißt es: „Der Kongress darf kein Gesetz erlassen, das die Einführung einer Staatsreligion zum Gegenstand hat, die freie Religionsausübung verbietet, die Rede- oder Pressefreiheit oder das Recht des Volkes einschränkt, sich friedlich zu versammeln.“

Dass die zivilen Grundrechte und das Recht auf Waffenbesitz so dicht beieinander stehen und in Teilen der amerikanischen Gesellschaft einen gleich hohen Stellenwert genießen, markiert schon einen fundamentalen kulturellen Unterschied zwischen Europa und den USA. Amerikanisch verstandene Freiheit ist also zuerst eine Sicherheitsfrage, etwas, das ständig und pragmatisch verteidigt werden muss und verteidigt werden kann, und sei es durch einen „preemptive strike“, einen vorsorglichen Angriff – bevor der Feind angreifen kann.

Jetzt haben die amerikanischen Sicherheitsbehörden mit ihrem unstillbaren Drang nach immer neuen, umfassenderen Sicherheitsstufen das Internet gekapert. Sie spähen die gesamte freie Welt aus, die unfreie ohnehin. Nein, falsch: Sie haben es schon immer getan. Allein die Werkzeuge waren noch nie so unheimlich genau und omnipräsent. Die NSA demonstriert, was Vernetzung wirklich bedeutet.

teven Spielbergs Film „Minority Report“ hat schon vor zehn Jahren dieses Szenario entworfen: Da gibt es Medien, die Verbrechen voraussehen, bevor sie begangen werden. Die Vision spielt im Jahr 2054, nun ist es schneller gekommen. Amerikas Sicherheitstechnik (die Briten haben auch keine Skrupel) verhält sich zu Freiheit und Demokratie wie ein Fuchs, der auf einen Hühnerstall auf passen soll.

Der Freiheitsdrang der ersten Siedler war von Militanz geprägt

Die europäische Freiheitsidee wirkt dagegen, im Schiller’schen Sinn, idealistischer, versponnener, entstammt moralischer Überlegenheit und tatsächlicher Unterlegenheit, während in der Neuen Welt eine Faustrechtsfreiheit aufblühte. Schließlich sind Deutsche, Briten, Polen, Italiener ausgewandert, um den engen europäischen Hierarchien, den Verboten, den Hungersnöten zu entkommen. Die Freiheit der Siedler, die den nordamerikanischen Kontinent durchquerten, musste von Militanz geprägt sein. Die Indianer wurden vernichtet. Planwagen, Wagenburg, die ganze Westernikonografie atmet den Geschmack von Freiheit und Abenteuer – doch das ist ohne den Zusatzstoff Sicherheitsdenken nicht zu haben. Und das bedeutet: Gewalt. Und Furcht.

NSA und die amerikanische Paranoia: Die TV-Serie "Homeland" erzählt davon

Die ehemalige Abhörstation des US-Geheimdiensts auf dem Berliner Teufelsberg
Hallo Nachbarn. Die ehemalige Abhörstation auf dem Berliner Teufelsberg. Bis 1992 lauschte der US-Geheimdienst NSA hier dem Funk- und Telefonverkehr des Ostens.

© picture alliance / dpa

„Fear“ ist dann doch immer wieder eine Staatsreligion der USA. Das trifft auf die McCarthy-Zeit ebenso zu wie auf die Jahre nach dem 11. September 2001. Sie ist immer dabei, die Angst. Die TV-Serie „Homeland“ beleuchtet wunderbar die Paranoia, die in eheliche und außereheliche Betten kriecht. Waren es früher aber einmal die Kommunisten, die Außerirdischen, so kommen „sie“ (them!) zunehmend aus dem eigenen Land. Da kann sich noch der Gelassenste einmal aus guten Gründen fürchten – vor den Waffennarren und Amokläufern, den christlichen Fundamentalisten und Rassisten des Südens, vor der tiefen Spaltung im reichsten und mächtigsten Land der Erde.

Millionen Amerikaner fürchten sich vor einer gesetzlichen Krankenversicherung, weil sie der Regierung misstrauen. Millionen Deutsche genießen auf den Autobahnen die Freiheit, ihre Motoren auszufahren. Und sie wollen eine Regierung, die ihnen diese Freiheit lässt. Wir glauben eher noch an einen guten Staat, der für seine Bürger sorgt und sich virulente Geheimdienstinformationen lieber aus dem befreundeten Ausland holt. Viele Amerikaner setzen hingegen voraus, dass der Staat schlecht und böse sei.

1849 veröffentlichte Henry David Thoreau sein Pamphlet „Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat“. Die kleine Schrift richtete sich ursprünglich gegen den Krieg der USA in Mexiko und die Sklavenhalterei, sie wurde zum Klassiker. Gandhi gab seinen Schülern Thoreau zu lesen. Die Lehre ist einfach und stark: Wenn der Staat Unrecht begeht und Brutalität deckt, dann muss der Bürger sich verweigern, muss handeln. Edward Snowden hat das getan, als er sich absetzte und sein Wissen über die NSA publik machte.

Seitdem herrscht Empörung, in den USA auch, aber hierzulande weit mehr. Aber in der Wut über die globale Datenerfassung und die digitale Fußfessel für jedermann steckt auch viel Wut und Enttäuschung nicht nur über Obama und die USA, sondern über uns selbst.

Wir haben es gewusst, oder? War Bush senior nicht CIA-Chef, ehe er Präsident wurde? Die Erbitterung ist so groß, weil mit Obama ein neues Amerika versprochen war. Tatsächlich haben wir es mit einem effektiveren, futuristischen, digital enteilten Amerika zu tun. Sie töten Terroristen und Zivilisten mit Drohnen, blitzsauber, und kein Tölpel muss mehr in ein Parteibüro in D.C. einbrechen. Die USA sind bereits auf einem anderen Planeten.

Edward Snowden hält sich an Thoreaus Aufruf zum Ungehorsam gegen den Staat

Schwerer wiegt die Einsicht: Wir, ich, du, alle haben sich mit Wonne freiwillig den Datensammlern hingeworfen, ob Google, Facebook, Amazon oder Microsoft. Die wissen alles, weil wir ihnen alles gegeben haben. Um mit einer Verschwörungstheorie im guten alten amerikanischen Stil zu enden: Noch weiß man nicht, ob die US-Geheimdienste die Netzkonzerne übernommen haben. Oder ob es nicht umgekehrt läuft, auf koreanische Art: Samsung ist nicht nur ein Technologiegigant, sondern baut auch Wohnungen und Atomkraftwerke, investiert in Freizeitparks, Versicherungen und politische Parteien. Nachzulesen in „Le Monde diplomatique“. Samsung ist ein Rundumpaket, lebenslang, ein anderer Name für Südkorea.

Snowden arbeitete für ein Privatunternehmen der Spionageindustrie. Man muss wirklich von einer Industrie sprechen, und das Produkt, das da ständig verfeinert wird, heißt Sicherheit. Der Bürger kann es nicht bestellen oder zurückschicken. Es ist da. Man sieht es nicht, aber es breitet sich aus, es hat mich im Verdacht, zu meiner eigenen Sicherheit.

Und das Schlimmste ist: Der Algorithmus kann einmal recht haben, einmal in Abermilliarden Fällen.

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