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Kultur: Nur der Schmerz ist real

Zu Gast in Berlin: Isabelle Huppert über Sarah Kane und ihr Bühnenleben

Frau Huppert, Sie sind jetzt mit Claude Régys Inszenierung von Sarah Kanes „4.48 Psychose“ in Berlin zu sehen. Dort stehen Sie zwei Stunden fast unbeweglich vor einem Gazevorhang, auf dem Zahlen auftauchen und manchmal dahinter ein Therapeut, ein letzter Dialogpartner. In Sarah Kanes letztem Stück scheint es keine Figuren mehr zu geben, sondern nur noch letzte Zustände, Bilder, Visionen.

Das ist ja keine Figur, und deshalb kann ich ganz ich selbst sein. Man wird nicht eingeschränkt durch die Vorgabe, dieses oder jenes Gefühl zu spielen. Es ist weiter gefasst, mysteriöser, interessanter.

Sie nehmen einen fast unveränderten Standort ein und werden beinahe zu einer Instrumentalistin. Ihr Sprechen ist fast schon Musik. Ist diese Bewegungslosigkeit ein Problem für Ihr Spiel?

Auch wenn man das kaum glauben möchte: im Gegenteil. Die Aufführung bezieht daraus eine große Kraft. Es verleiht mir fast Flügel, ich könnte diesen Text anders gar nicht spielen. Dieser Fixpunkt ist ein Glück für mich, denn er erlaubt mir, eine starke Verbindung zum Publikum aufzubauen.

In Ihrem Monolog flackern Erinnerungen, Fragmente von Beziehungen auf, die Möglichkeit eines Gesprächs …

Ja, es sind Fetzen vergangener Beziehungen, Liebhaber, sowohl männliche als auch weibliche. Ein Bündel von Eindrücken, die jeder Zuschauer anders lesen, anders werten kann. Je nachdem, was er oder sie erlebt hat. Darin liegt für mich die Kraft der Texte von Sarah Kane. Sie ist sehr präzise und zugleich sehr offen. So etwas ist selten in Theatertexten.

Ihr Partner scheint aus einem Jenseits hinter dem Vorhang zu Ihnen zu sprechen. Die Worte der Vernunft scheinen verschwommen, während Sie, als die vermeintlich Kranke, in einem sehr harten Licht im Vordergrund stehen.

In diesem Zwischenreich aus Wirklichkeit und Unwirklichkeit erscheint ihr jeder Bestandteil der Realität verschwommen. Dieser Arzt, den sie nicht beim Namen nennen kann und den sie am Ende als mein Gott, mein Pfarrer, meinen höchsten Richter bezeichnet – ist unwahrscheinlich. Real sind für sie nur ihre Wahrnehmungen, ihr Schmerz, ihr Leid.

Die Arbeit an diesem letzten Stück von Sarah Kane, das als Vermächtnis und ein „Schreiben zum Tod“ verstanden werden kann, war vermutlich nicht gerade leicht.

Es war nicht komplizierter als sonst, im Gegenteil. „4.48 Psychose“ ist vor allem ein Text über das Schreiben: Da ist jemand, der sich in seinem Schmerz selbst inszeniert – bis zum Unerträglichen. Wir wissen ja, dass Sarah Kane bald darauf Selbstmord beging. Gleichzeitig ist da jemand, der nach einer präzisen Sprache sucht. Kanes Theater ist eines der Form. Kein Wort macht hier Sinn, wenn es sich von der Form löst. Deshalb spreche ich in der Aufführung auch mit einer speziellen Diktion. Realismus oder Naturalismus wäre hier fehl am Platz. Erstaunlicherweise kommt aus Kanes klarem Bewusstsein des Schreibens auch die Emotion; die Form funktioniert wie eine Rüstung.

Sie haben trotz Ihrer Filmkarriere die Verbindung zum Theater aufrechterhalten. 2002 spielten Sie unter Regie von Jacques Lasalle Medea, und zuletzt Hedda Gabler in einer Inszenierung von Eric Lacascade. Wie beeinflussen sich die Spielerfahrungen vor der Kamera und auf der Bühne?

Ich glaube nicht, dass ich ein anderes Kino machen würde, wenn ich nicht im Theater aufträte. Aber ich glaube, dass ich anders Theater spiele, weil ich Filme drehe. Es ist das Kino, das meiner Theaterarbeit Impulse gibt. Ich habe mich nie als Theaterschauspielerin begriffen. Deshalb gehe ich als Filmschauspielerin auf die Bühne, und als Persönlichkeit – dank einiger Regisseure, die mich in ihr ästhetisches Universum eingebunden haben, ohne mich konventionellen Theaterritualen zu unterwerfen. Die hätte ich ohnehin abgelehnt, weil ich zu ihnen weder Lust noch Begabung mitbringe. Aber meinen Regisseuren ist es gelungen, Welten zu bauen, in denen ich auftreten konnte, als wäre das eine völlig neue Erfahrung. Im Kino ist nichts schon einmal da gewesen, das Kino hat keine Geschichte. Das Theater dagegen ist so alt wie die Welt. Damit es eine lebende Kunstform bleibt, muss man es immerfort töten.

Wenn man Ihre Karriere verfolgt, ist man verblüfft über die Vielzahl großer Rollen und realisierter Filme.

Ich habe einfach Lust auf Film. Es ist auch nicht so, dass ich zwischen dem Leben und dem Kino eine so machtvolle Grenze zu überwinden hätte. Beides entspringt einem natürlichen Gefühl: Leben und Filmemachen speisen sich aus derselben Energie.

Sie haben besonders oft mit dem Filmregisseur Claude Chabrol zusammengearbeitet.

Das Besondere an Chabrol ist: Nie würde er eine Figur idealistisch anlegen oder ihr beruhigende Züge geben. Jede Figur hat bei ihm etwas Gefährliches. Andere Regisseure haben oft Angst davor, dass ihnen eine Figur zu finster gerät. Was mich mit Chabrol verbindet, ist die Überzeugung, dass eine Figur wahr, universell, komplex sein muss. Wir wollen sie mit ihren Widersprüchen zeigen. Wenn man darauf verzichtet, erzählt man nichts mehr.

Ihre Figuren verbergen oft einen Mangel und verstecken, was ihnen fehlt.

Ja, es gibt Vermeidungsstrategien. Nicht dass dies die einzige Triebfeder ist, um eine Figur interessant zu spielen. Aber es stimmt schon: Im Kino ist das, was man versteckt, immer interessanter als das, was man zeigt.

Das Gespräch führte Eberhard Spreng.

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