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Kultur: Nur zwei Jahre nach der Erdbebenkatastrophe von 1997 feiert die Wallfahrtsstadt Assisi mit der Wiedererstehung von Fresken und Gewölben einen Triumph der Denkmalpflege

In der Unterkirche von Assisi erzählt ein Freskenzyklus Giottos aus dem Leben des Heiligen Nikolaus. Eine Szene schildert die Folgen eines Erdbebens.

In der Unterkirche von Assisi erzählt ein Freskenzyklus Giottos aus dem Leben des Heiligen Nikolaus. Eine Szene schildert die Folgen eines Erdbebens. Da ist ein prächtiges mittelalterliches Haus zusammengebrochen, eingestürzte Wände, geborstenes Gebälk ragt nutzlos ins Leere, am Boden ein Haufen aus Schutt und Steinen. Fassungslos stehen die Beteiligten davor, Schmerz und Schrecken verzerrt ihre Gesichter: Unter den herabgefallenen Trümmern ist ein kleiner Junge begraben.

Die Szene, anschaulich auf flacher Bühne ausgemalt, wirkt im Nachhinein beinahe prophetisch. Fast 700 Jahre später, am 26. September 1997, traf den umbrischen Wallfahrtsort Assisi die größte Katastrophe seiner Geschichte: Ein Erdbeben, das die weltberühmten Fresken der Franziskus-Basilika schwer beschädigte und Hunderte von Häusern zum Einsturz brachte. Nach einem ersten Erdstoß in der Nacht war die (unbeschädigte) Oberkirche sicherheitshalber gesperrt worden, Fachleute, Mönche und Kamerateams begutachten das Bauwerk. Um 11 Uhr 42 erschüttert ein zweiter Erdstoß den Boden: An zwei Stellen bricht das Gewölbe ein. Die anwesenden Kamerateams können das Geschehen unfreiwillig "live" dokumentieren: Die vor Minuten noch unversehrten Fresken reißen auf, Gewölbebrocken stürzen hinab, ein Wolke von Staub und Geröll erfüllt die Kirche und verdeckt die Sicht. Schreie, Krachen, Lärm. Vier Menschen, zwei Mönche und zwei Denkmalschützer, sterben unter den Trümmern.

Nun, etwas mehr als zwei Jahre später, ist die Oberkirche von Assisi wieder geöffnet. Während in den Dörfern der Umgebung immer noch Zehntausende in Containern darauf warten, dass die von der Regierung versprochenen Gelder für die Instandsetzung ihrer Häuser eintreffen, feiert Assisi pünktlich zum durch Franziskus begründeten Weihnachtsfest einen Triumph der Denkmalpflege. Umgerechnet 70 Millionen Mark waren für den Wiederaufbau von Kirche und Konvent bereitgestellt worden. In kürzester Zeit wurden die klaffenden Wunden im Gewölbe geschlossen und verputzt, die über 5000 Quadratmeter Fresken vom Staub gereinigt. Eine erdbebensichere Stahlkonstruktion stützt Seitenwände und Gewölbe. Nur noch ein Stein am Eingang der Kirche erinnert an die Toten.

Während - die gute Nachricht zuerst - Giottos weltberühmter Zyklus mit den Szenen aus dem Leben des Heiligen Franziskus unversehrt und in frisch restaurierten Farben erstrahlt, schienen die eingestürzten Freskenteile aus den Gewölben oberhalb des Altars und im ersten Kirchenjoch unwiederbringlich verloren. Cimabues Bild des Heiligen Matthäus, ein Segment des ultramarinblauen Sternenhimmels, der Heilige Hieronymus und acht Heiligenfiguren aus der Giotto-Schule, insgesamt 180 Quadratmeter Deckendekoration, waren beim Sturz in 30 Meter Tiefe in 300 000 Fragmente zerschellt. Kahle weiße Flächen markieren heute diese Partien, während im benachbarten Refektorium die Restauratoren das Unmögliche versuchen: In mühseliger Puzzlearbeit suchen sie bis zu 80 Prozent der Gemälde wiederherzustellen.

Im ersten Gewölbejoch, bei den Fresken aus der Giotto-Schule, ist dies vor allem ein Problem der Zuordnung. In rasender Eile hatten Feuerwehr, freiwillige Helfer und Mönche in den Stunden nach dem Einsturz die Trümmer aus der Kirche ins Freie geräumt, um die darunterliegenden Verschütteten zu erreichen: Folglich lagen alle Trümmer durcheinander. Monatelang sortierten Restauratoren und Freiwillige die teilweise nur fingernagelgroßen Stücke in Hunderte von Kästen ein: In den Restaurationswerkstätten warten zum Beispiel immer noch etwa 200 Kästen "Blau" auf Bearbeitung. Seitdem werden die einzelnen Fragmente originalgroßen Fotos der Fresken zugeordnet - im Fall der beiden Heiligen Vittorino und Rufino ist dies schon so weit gelungen, dass die beiden vorläufig wieder im Gewölbe angebracht werden konnten - mosaikartige Fragmente, Zeugnisse einer unendlichen Geduldsarbeit.

Vollständig werden die Fresken niemals mehr sein: Etwa 30 Prozent, schätzt Paola Passalacqua-Dorn, Leiterin der Restaurierungsabteilung, sind beim Einsturz unwiderbringlich zu Staub zerfallen. Wie diese fehlenden Teile ersetzt werden sollen - ob sie mit Aquarell behutsam farblich nachkoloriert oder im Gegenteil im Gewölbe weiß gelassen werden sollen - soll erst entschieden werden, wenn die Zuordnungsarbeiten abgeschlossen sein werden. Frühestens Anfang des Jahres 2001 könnte dies sein, schätzt die Restauratorin vorsichtig optimistisch. Bis dahin ordnen 15 Restauratoren die einzelnen Teile von Hand - gegenüber dem geübten Auge des Fachmanns, der jedes Fragment kennt, ist der Computer immer noch nachrangig.

Computer dagegen werden eingesetzt, wo es um die Restaurierung der Cimabue-Bilder oberhalb des Hauptaltars geht. Wieder einmal hat sich die Geschichte gegenüber dem Giotto-Lehrer als ungerecht erwiesen: Während sich die Bilder seines berühmten Schülers durch dessen Fresko-Technik, die die Farben mit dem feuchten Gewölbeanstrich verband, hervorragend konserviert haben, so dass man die einzelnen Gewölbestücke getrost in die Hand nehmen kann, malte Cimabue mit Tempera, das heißt: mit Farbe auf den trockenen Putz. Statt sich mit dem feuchten Putz zu verbinden, lagerte sich die Farbe deshalb in Staubform ab und lässt sich nun mit einer Berührung abwischen. Die Fragmente manuell zu sortieren, verbietet sich deshalb aus konservatorischen Gründen - ganz abgesehen davon, dass sie noch in wesentlich kleinere, manchmal stecknadelgroße Stücke zerfallen sind.

Glück im Unglück war hier, dass man die Stücke schon in der Kirche, genau an der Stelle, an der sie niedergebrochen waren, aufnehmen konnte, so dass sie ihre alte Ordnung einigermaßen bewahrt haben. Die in einer schwammartigen Masse gelagerten Fragmente werden nun per Computer eingescannt und elektronisch nach Bruchstelle, Farbstrich und Zusammensetzung sortiert. Erst dann werden die Fragmente von Hand zusammengesetzt und in mit Sand gefüllte Aluminiumrahmen gegossen, um eine flexible, gerade Oberfläche zu erhalten, die gleichzeitig die Krümmung des Gewölbes aufnimmt. "Werkstatt der Utopie" nennen die Restauratoren ihre aufwendige Arbeit.

Dennoch macht sich in der strahlenden Oberkirche von Assisi das Gefühl breit, gerade noch einmal davongekommen zu sein. Vier Sekunden länger, schätzt Chef-Restaurator Sergio Fusetti, hätte das Erdbeben dauern müssen, dann wäre das ganze Gewölbe eingestürzt. Sechs Monate lang hat er mit seinem Team unter ständiger Einsturzgefahr in der Kirche gearbeitet, um die Gewölbe und Seitenwände mit Gerüsten zu sichern, bis sie im letzten Mai endlich mit der Säuberung der Fresken beginnen konnten. Nun ist das Gewölbe an einer beweglichen Fiberglas-Konstruktion aufgehängt, die es von oben sichert. Grund für den Einsturz war unter anderem, dass sich im Verlauf der Jahrhunderte tonnenweise Schutt auf dem Gewölbe abgelagert hatte und dieses beschwerte. Was von den Erbauern als Regenschutz und statischer Ausgleich in gewissem Umfang geduldet worden war, hatte sich im Laufe der Jahrhunderte zu einer übermäßigen Belastung angewachsen. Es ist nicht gerade beruhigend zu wissen, dass über vielen gotischen Kirchen Italiens ähnliche Schuttmassen lagern: Die nächste Katastrophe ist programmiert.

Christina Tilmann

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