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Kultur: Obsthändel

Das Künstlerkollektiv Slavs and Tatars zu Gast in Berlin.

Die Wassermelone kennt man als kalorienarmen Durstlöscher. Doch sie eignet sich auch als Instrument der politischen Bildung – zumindest bei Slavs and Tatars. Das Künstlerkollektiv widmet sich der klischeebefreiten Vermittlung des Territoriums zwischen, wie es heißt, „der einstigen Berliner und der Chinesischen Mauer“. Die meisten Westeuropäer müssten in dieses riesige Staatengebiet wohl einige weiße Flecken zeichnen. Diese einzufärben ist das Ziel der Künstler. In der Galerie Kraupa-Tuskany dient nicht nur die Melone, sondern eine ganze Zahl von Früchten als Träger kulturhistorischer, ökonomischer, spiritueller und politischer Narrationen. Das Bild des (Obst-)Basars ist durchaus gewollt – damit klebt man gleich auf der Leimspur des Exotisierenden, wenn nicht gar Diskriminierenden fest.

Und ist auch wieder bei der Wassermelone, denn sie kommt in vielen Ländern als rassistisches sprachliches Wurfgeschoss zum Einsatz. Daran mahnt sie in der Ausstellung in überdimensionierter, skulpturaler Gestalt mit Arbeiten wie „Before the Before“ oder „After the After“ (beide 2012). Eine ganz andere Geschichte erzählen die zu einer traubenartigen Lampe verknüpften Hami-Melonen in „The Fragrant Concubine“. Sie verweisen auf die Legende einer an den Kaiserhof der Qing-Dynastie verschleppten uighurischen Kurtisane, die dort nach den Früchten ihrer Heimat verlangt haben soll. Vor allem aber soll sich die Geraubte zeitlebens ihrem Entführer verweigert haben, sodass das Werk zu einer Metapher für Eigen-, um nicht zu sagen, Widerständigkeit gerät und zugleich an die vielen, durch Gewalt erzwungenen Formen von kulturellem „Austausch“ erinnert.

Derart verschlungen und geschichtenintensiv sind viele Arbeiten des Kollektivs, das zu den aktuellen Lieblingen des Kunstbetriebs zählt. In alltäglichen Gegenständen, Möbeln, Textilien oder eben Obst bündeln und überlagern sie Erzählstränge, die in verschiedene Richtungen hin ausästeln und eine Ahnung von den kulturhistorischen Schichten und Konflikten mancher Länder geben, die jenseits der eurozentristischen Perspektive liegen. Um hiervon zu berichten, nutzen die Künstler auch die unterschiedlichen Sprachen und Schriftsysteme jener Großregion, Sinnverschiebungen oder linguistische Clashs und Zwangsehen. All das trifft in „Dunjas, Donyas, Dinias“ aufeinander. „Dunja“ ist das serbische Wort für Quitte, das, gleichklingend, auf Arabisch „Welt“ bedeutet: Slavs and Tatars verwandeln die Frucht in einen Globus aus gelbem Fiberglas und bringen mittels Obst und Sprache den Frieden in die Welt.

An solchen Stellen offenbaren sich denn auch Schwächen im Werk des Kollektivs, so unbedingt begrüßenswert seine aufklärerische Absicht ist. Gut sind die Künstler da, wo sie Komplexität zulassen, ja fördern. Schwierig wird es, wenn hochkomplexe Hintergründe in fast schon kalauerhafte Reduktion oder ornamentale Arabesken gezwungen werden. Am besten sind Slavs and Tatars, wenn sie sich ganz auf die Erzählmacht und das kulturhistorische Funkeln gefundener Objekte verlassen. Solche Zurückhaltung findet man in der Berliner Schau, einer Übernahme aus der Wiener Secession, selten. Dafür bringt sie die bitteren Früchte der Geschichte mit Humor dar, und bisweilen formaler Unerschrockenheit. Astrid Mania

Galerie Kraupa-Tuskany, Karl–Liebknechtstr. 29, 4. Stock, bis 3.11. 14-19.30 Uhr

Astrid Mania

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