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Kultur: Österreichs Leitkultur: Alpen-Pop

Das schöne, große Projekt von Thomas Bernhard war die Auseinandersetzung mit der österreichischen Leitkultur, mit jener "infamen Provinzhölle", in der er aufgewachsen ist.In Österreich muss man nicht lange suchen und herumkonstruieren, eine waschechte Leitkultur ist überall zur Stelle.

Das schöne, große Projekt von Thomas Bernhard war die Auseinandersetzung mit der österreichischen Leitkultur, mit jener "infamen Provinzhölle", in der er aufgewachsen ist.

In Österreich muss man nicht lange suchen und herumkonstruieren, eine waschechte Leitkultur ist überall zur Stelle. Umso intensiver musste jemand wie Bernhard dagegen angehen, und daher lassen seine Tiraden-Romane keinen Atemzug des lesenden Gegners zu, extra. Fortfahren ist das Prinzip, und am Ende aus der Haut fahren.

"Der österreichische Mensch ist durch und durch ein nationalsozialistisch-katholischer, von Natur aus", erklärt Murau in "Auslöschung", "er mag sich dagegen wehren, wie er will. Katholizismus und Nationalsozialismus haben sich in diesem Volk und in diesem Land immer die Waage gehalten, und einmal war es mehr nationalsozialistisch, einmal mehr katholisch, aber niemals nur eines von beidem. Der österreichische Kopf denkt immer nur nationalsozialistischkatholisch. Auch die österreichischen Denker haben immer nur so, mit einem solchen unappetitlichen nationalsozialistisch-katholischen Kopf gedacht. Gehen wir in Wien auf die Straße, sehen wir letzten Endes nur Nationalsozialisten und Katholiken, die sich einmal mehr als Nationalsozialisten geben, einmal mehr als Katholiken, meistens aber als beides zugleich, was sie bei näherer Begegnung und Betrachtung und eingehender Beobachtung so widerwärtig macht, letzten Endes, ob wir das wahrhaben wollen oder nicht, hatte ich zu Gambetti gesagt."

Inzwischen, in der Epoche nach Bernhard, gibt es in der österreichischen Selbstverständigung eine neue Phase. Denn die "Freiheitlichen" haben die Rolle übernommen, Bernhards Befunde auf grobschlächtige Weise zu belegen. Was dumpf brodelte, wird offen formuliert. Eine neue Polit-Ära hat den alpinen Dress-Code wiederbelebt, mit Jägerleinen, Hubertusmantel, Lodenjanker und Dirndl. Am Nationalfeiertag, letzten Freitag, kreisten Armeehubschrauber über dem Wiener Heldenplatz. Im Schwarzl-Freizeitzentrum von Unterpremstätten bei Graz bot man an diesem Tag jungen Menschen mit dem Slogan "Komm schau HEER!" Einblick in die Militärkarriere: "Multimedia und Kostproben aus der Feldküche", und "Military Adventure Cup für Jugend, durchgehend". Alfred Plienegger, der "Kommandant des 1. Korps" des Heeres, spricht die Jugend in einer vom Korpskommando edierten Broschüre damit an, dass "rund 2 200 Mann durchgehend an der Ostgrenze unseres Landes im Einsatz stehen, um ein unkontrolliertes Hereinkommen Fremder zu verhindern".

Und im Volksfernsehen regiert die Volksmusik, während der Fernsehsender ORF2 subversive Versuche macht, die Landeshymnen auf ihren undemokratischen und ahistorischen Gehalt analysieren zu lassen. Ja: Österreichs Künstler und Intellektuelle freuen sich. Der Gegner "dumpfe Grundstimmung" hat Konturen bekommen, Gesichter wie Haiders, mit allen Zügen skifahrend, kantig, burschenhaft. Endlich scheint das demokratischere Europa die Agonie der kritischen Österreicher zu verstehen.

Dass dieses Europa "Maßnahmen" gegen Österreich ergriff, verband Marlene Streeruwitz mit der Idee zu ihrem neuen Stück "Sapporo", uraufgeführt in Graz, am Abend des Nationalfeiertages im Rahmen des avantgardistischen Kulturfestivals "steirischer herbst". Sapporo, Ort der Olympischen Spiele 1972, ist Synonym für das damalige österreichische Isolationstrauma. Weil er illegitime Nebenverdienste eingestrichen hatte, schickte das Internationale Olympische Komitee das Ski-As Karl Schranz einfach heim, wo Zehntausende den Helden, der nicht zum Zuge kam, mit trotzigem Jubel empfingen - auf dem Heldenplatz, dem Referenzpunkt der österreichischen Geschichte.

In "Sapporo" geht es um einen Ex-Skifahrer, der fürs Fernsehen seine Talk-Show "Kochen mit Volksmusik" vorbereitet. Alpenmachos mit Baseballkappe und Technojacke kabeln im Studio Austro-Pop mit Kochrezepten zusammen. Beim Casting vergewaltigen sie eine Kandidatin, die den Job als Moderatorin dennoch annimmt, man muss ja leben, oder? Gleich in der ersten Sendung wird, als bezugsreiches Ethnogericht, "Serbische Bohnensuppe" serviert. Der Skifahrer singt dazu einen hitverdächtigen Schlager.

All das spielt im Innern der Kulissen von Österreich, am Fuß der alpinen Kulturindustrie. Einige Szenen hat die japanische Regisseurin Kazuko Watanabe zum Mitklatschen angelegt, und dazu brauchen drei Grazer Gymnasialklassen, die Anfang der Woche bei einer Probe zuschauten, kaum Ermunterung. Als aber Watanabe ihnen dann erklärt, "wie gefährlich ein Heimatgefühl ist", zum Beispiel ihr eigenes, wenn sie beim Anhören japanischer Lieder wehmütig wird, wirken die Teenager verwirrt. Warum sie mitklatschen sollten, warum sie das sogar taten, fragen sie nicht. Streeruwitz will, sagt sie, "die tägliche Beleidigung" vorführen. Für viele scheint aber die Beleidigung, das "aggressive Intimisieren", wie Streeruwitz es nennt, so selbstverständlich, dass sie sich bereitwillig vorführen lassen. Womöglich kommen die Zweifel später.

Auch Elfriede Jelinek attackiert mit "Gier", ihrem neuen Roman, das Provinz-Österreich und fand bei den Debattanten des "Literarischen Quartetts" halbherzige Fürsprecher "voller Respekt". Im Grunde seien das alles Probleme aus den fünfziger Jahren, warf jemand ein. Die Jelinek und ihre Mann-Frau Obsessionen. Beide, Streeruwitz wie Jelinek, betonen im österreichischen Geschlechter-kampf jetzt auch die Mitmachrolle der Frauen im Machtgefüge. Und diese Woche wurde im Kabinett das Ministerium für Frauenfragen neu besetzt - mit einem Mann.

Fünfziger Jahre?

Wer den über neunzigjährigen Simon Wiesenthal in Wien auf dem Judenplatz hören konnte, wo er am Mittwoch die Einweihung des Holocaust-Memorials für 65 000 ermordete österreichische Juden begrüßte, der sagt sich, dass das längst, in den fünfziger Jahren schon, hätte geschehen müssen. Wie die Entschädigung der Zwangsarbeiter, die diese Woche in Österreich, angeschoben von amerikanischen Anwälten, einen Schritt voran kam. Man fragt sich, was für eine satte Portion fünfziger Jahre hinter der Technologie der Folgejahrzehnte weitergekocht wurde, auf einer anderen Ebene. Sogar in den hippen, coolen, technischen und cleanen Environments, in denen sich die so genannte Gegenwart abspielt. Und in Köpfen, die innen wie Wohnküchen aussehen, und wo Mitmachgedanken gebacken werden, immer noch, wie hier zu Lande ja auch.

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