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Kultur: Offene Ehe

Sasha Waltz bleibt in Berlin – und der Tanz macht sich selbstständig. Die Schaubühne wird neu formiert

Die Berliner Schaubühne war schon immer ein höchst apartes Gebilde. Nicht nur die Regie- und Schauspielkunst hat hier Epoche gemacht. Es gab in ihrer über vierzigjährigen Geschichte ebenso wegweisende (oder irreführende) Leitungsmodelle. Legendär die marathonigen Mitbestimmungsdebatten Anfang der Siebziger, die Peter Stein dann doch für sich entschied. Nach der Steinzeit wechselten die Direktoren (Luc Bondy, Jürgen Gosch, Andrea Breth) dann verzweifelt oft. Und als vor fünf Jahren die neue Schaubühne antrat, installierte man eine Viererbande. Der Tanz war dazugekommen. Eine kleine Revolution.

Der Regisseur Thomas Ostermeier, der Dramaturgenkopf Jens Hillje, die Choreografin Sasha Waltz und Jochen Sandig, ihr Manager und Lebensgefährte: Sie bildeten ein Quartett, dem man trotz häufiger Querelen und Ego-Probleme eine lange und erfolgreiche gemeinsame Zeit bescheinigen kann. Anderswo, am Schauspiel Frankfurt, am seligen Berliner Schiller-Theater oder am Berliner Ensemble platzten Zweier-, Vierer- oder gar Fünfer-Direktorien wie die Seifenblasen.

Nun, und das ist etwas ganz Neues, lassen sich an der Schaubühne der Tanz und das Schauspiel scheiden – um zusammenzubleiben. Sasha Waltz und Jochen Sandig geben ihre Positionen in der Künstlerischen Leitung der Schaubühne auf und gründen eine eigene GmbH. Nach der endlich unterschriftsreifen Vereinbarung wird Sasha Waltz mit der Schaubühne ab September 2005 zunächst für zwei Jahre eng kooperieren.

Die Hauptpunkte des Vertrags: Pro Spielzeit gibt es an der Schaubühne eine Uraufführung von Sasha Waltz und ein zweites neues Stück von ihr oder einem anderen Choreografen. Das Tanzensemble spielt pro Spielzeit mindestens fünfzig Vorstellungen am Lehniner Platz. Die Schaubühne zahlt Sasha Waltz & Guests 1066000 Euro für Personal, 109000 Euro für Ausstattung und bietet darüber hinaus Personal- und Sachleistungen in Höhe von 630000 Euro; die Zahlen beziehen sich auf je eine Saison.

Es ist vorgesehen, dass die international gefragte Sasha Waltz ihre Gastspiele in Zukunft auf eigene Rechnung organisiert. Über diesen Punkt hatte es in der Vergangenheit immer wieder Streit gegeben: Wie verteilen sich die Einnahmen und Ausgaben der Schaubühne auf Schauspiel und Tanz? Der Knoten scheint nun durchgeschlagen.

Ziel der Vereinbarung ist, so heißt es, „die erfolgreiche künstlerische Arbeit, die Sasha Waltz seit Beginn der Spielzeit 1999/2000 an der Schaubühne geleistet hat, fortzusetzen, zu sichern und auf eine neue Basis zu stellen“. Das neue Kooperationsmodell bringt Synergieeffekte – und Vorteile für beide Seiten. Sasha Waltz kann endlich ihr überlastetes Ensemble vergrößern. Und schon länger drängt es die Choreografin, die aus der freien Szene kam, zurück in die (partielle) Freiheit. Diese neue Freiheit bedeutet aber auch eine gute Absicherung. Die Schaubühne wiederum dürfte sich der Tatsache bewusst sein, dass sie im Hinblick auf ihr Image, ihr künstlerisches Profil und vor allem auf das Publikum, das man sich in den vergangenen fünf Jahren gemeinsam aufgebaut hat, auf die Kreationen von Sasha Waltz nicht verzichten kann.

Sie trennen sich, um die spartenübergreifende Idee der neuen Schaubühne zu retten. Sie trennen sich auch deshalb, damit Sasha Waltz in Berlin bleibt. Es fehlt nur noch der kulturpolitische Vollzug. Der Hauptstadtkulturfonds wird jährlich eine Million Euro zur Förderung des Tanzes bereitstellen. Auf Sasha Waltz soll davon der größte Teil entfallen, 575 000 Euro pro Jahr. Dies ist, wie die Schaubühne sagt, Voraussetzung für das neue Kooperationsmodell. Auch die Schaubühne kämpft ums Geld – sie erhält rund 12,3 Millionen Euro Zuwendungen vom Senat pro Jahr; sie braucht Planungssicherheit, um den neuen Vertrag mit Sasha Waltz & Guests erfüllen zu können. Jetzt muss Kultursenator Flierl noch für die Umsetzung sorgen.

Paradigmenwechsel: Früher kämpfte der Tanz darum, in die Leitungsstrukturen der Theater eingebunden zu sein und mit zu entscheiden. Pina Bausch in Wuppertal und Bill Forsythe in Frankfurt waren die Vorreiter. Auch Forsythe hat sich nun – gezwungenermaßen – selbstständig gemacht. An der Schaubühne kann die Zukunft weitergehen.

Rüdiger Schaper

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