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Kultur: Oft kopiert, mehr erreicht

Aura und Zitat: Die Frankfurter Ausstellungen über Yves Klein und Elaine Sturtevant markieren gegensätzliche Positionen der Kunst

Zwei Künstler, zwei Retrospektiven, wie sie unterschiedlicher nicht sein können: der Anfang der Sechzigerjahre jung verstorbene Franzose Yves Klein auf der einen Seite, die seit vielen Jahren in Paris lebende Amerikanerin Elaine Sturtevant auf der anderen. Die beiden großen Ausstellungshäuser Frankfurts, die Schirn Kunsthalle und das Museum für Moderne Kunst, haben ungeplant einen Bogen gespannt zwischen diesen beiden einander diametral gegenüberstehenden Positionen.

Obwohl beide Künstler fast gleich alt sind – Klein wurde 1928 geboren, Sturtevant 1930 – und in Frankreich ihren Lebensmittelpunkt haben, wäre bislang kaum jemand auf die Idee gekommen, die beiden zusammenzudenken. Doch in der parallelen Frankfurter Setzung erscheinen die Œuvres von Yves Klein und Elaine Sturtevant wie die Eckpfosten der gesamten Kunstrezeption im 20. Jahrhundert: hier die auratische Erscheinung, dort das nüchterne Konzept. In Frankfurt vertauschen sich jedoch überraschend die Positionen. Der Romantiker Yves Klein, dieser Träumer der Avantgarde, sorgt unvermutet für Ernüchterung, während die kühle Konzeptualistin Sturtevant die vermeintliche geschmähte Aura des Kunstwerks restituiert.

Dabei schien Yves Klein ein gewonnenes Spiel. Obwohl sein Werk nur sieben Jahre umfasst, erfährt es noch immer eine gewaltige Resonanz: Der exzentrische Rosenkreuzer und Judoka-Lehrer ist eine feste Größe im Ausstellungsbetrieb. Allein bei der Nennung des Namens beginnt so mancher im Geiste im legendären Blau seiner monochromen Bilder zu baden. Die mit pudriger Substanz überzogenen Gemälde sind wie pulsierende Energiefelder, die den Betrachter zu verschlingen scheinen, je länger er sich in sie vertieft. Die Bilder greifen über in den Raum, sie feiern das sinnliche Erlebnis der Kunst.

Yves Klein zu zeigen, bedeutet für ein Ausstellungshaus sicheres Terrain. Das steht allerdings in kuriosem Gegensatz zum Lebenswerk des Künstlers, der immer mutiger den gefestigten Boden verließ, ja letztlich die Leere suchte. Berühmtheit erlangte jene Fotografie, die Yves Klein in freiem Fall, nach dem Sprung von einer Gartenmauer zeigt. Vielleicht ist es diese Rollenverteilung zwischen Künstler und Institution, die zunehmend Unbehagen auslöst: hier der charismatische Abenteurer, der sein Leben riskiert, dort das etablierte Ausstellungshaus, das ihn inszeniert. Das Entzücken des Publikums bleibt bei Yves Klein immer gewiss, denn auch nach 40 Jahren haben seine „Anthropometrien“ nichts von ihrer Grazie verloren. Und doch wirken diese mittels weiblicher Körperabdrucke entstandenen Gemälde auf einmal schal.

Selbst seine delikaten kleinen Monochromien aus den Fünzigerjahren, bei denen er noch mit reinem Pigment, Harz als Bindemittel und der Farbrolle als Pinsel experimentierte, erscheinen fad. Und die in Blau getauchten Schwämme bergen nicht mehr die Tiefe des Meeres oder die Unendlichkeit des Firmaments, sondern den Kleingeist von Kunstgewerbe. Eher deprimierend ist die aus Stellwänden gebildete Phalanx der Kabinette. Erst an ihrem Ende wird etwas von der Bildgewalt Kleins spürbar, wo sich auf Großformaten die Ozeane seines reinen Blaus öffnen. Daneben erstrahlen in metaphysischem Glanz mit Blattgold beschichteten Gemälde der letzten Jahre.

Vielleicht wurde deshalb Yves Kleins schon zu Lebzeiten binnen kurzem zum Star: Seine Bilder frönen der Augenlust und stimulieren doch auch das intellektuelle Gedankenspiel; in ihrer banalen Machart sind sie zwar dem Hiesigen zugewandt, durch ihren Absolutheitsanspruch aber Höherem verpflichtet. Yves Klein ist eben nicht nur Avantgardist, sondern auch Postmodernist. Er glaubt an das klassische Kunstwerk und zersprengt es durch seine Vorwegnahme von Land- und Bodyart, Happening und Performance.

Zumindest diese verwirrende Widersprüchlichkeit verbindet ihn mit der heute 74-jährigen Elaine Sturtevant, die einem ganz anderen künstlerischen Kosmos entstammt. Anders als der auratische Klein, kopiert sie die Werke anderer Künstler, um in erster Linie ein Nachdenken zu bewirken. Und, siehe da, ihre erstmalige Retrospektive im Museum für Moderne Kunst – mit über 140 Werken aus vier Jahrzehnten – hat einen höchst auratischen Effekt. An den Wänden des erstmals seit seiner Gründung komplett für eine Ausstellung ausgeräumten Hauses hängen Doubletten von Warhol, Stella, Rauschenberg und wirken original wie von der Hand des Meisters, obwohl es doch nur Nachschöpfungen sind.

Sturtevants Werk ist ein latenter Angriff auf unseren Authentizitätsbegriff. Kein Wunder, dass bis heute kaum ein Museum je eine Arbeit von ihr erwarb. Und doch markiert sie mit ihrem Werk eine wichtige Position in der Kunstgeschichte der zweiten Jahrhunderthälfte. Zwei Jahre nach Kleins frühem Tod 1962 entschließt sich die Künstlerin, Werke anderer zu wiederholen, um die herkömmliche „Vorstellung von Ästhetik zu erweitern und zu entwickeln“. Als erstes greift sie Warhols „Flowers“ auf, die längst schon nicht mehr von ihm selber, sondern Mitgliedern seiner Factory gefertigt wurden. Warhol überlässt Sturtevant die Siebdruckvorlage. Und der Betrachter fragt sich heute: Sind es nun Warhols oder Sturtevants, die da einen Museumssaal charismatisch füllen?

Sturtevant fasziniert durch die Vielzahl ihrer Techniken. Wie ein Chamäleon schlüpft sie in die Haut eines Anselm Kiefer, Joseph Beuys oder Marcel Duchamp, um im Nachgang den energetischen Schub eines Werkes zu erfahren. Mit sicherem Instinkt hat sie frühzeitig den ikonenhaften Charakter einzelner Stück erspürt – wie Beuys’ Fettstuhl, Johns’ „Flags“ oder Warhols „Marilyns“. Interessant werden diese Nachschöpfungen durch die minimalen Verschiebungen, in denen die Handschrift der Künstlerin sichtbar wird. So schreitet uns in dem berühmten Plakat „La rivoluzione siamo noi“ („Die Revolution sind wir“) ein erstaunlich zartgliedriger Beuys entgegen. Und auch in dem Video „Dillinger Running“ ahmt nicht der große Meister den amerikanischen Gangster John Dillinger nach, sondern Sturtevant imitiert ihn mit Hut und wehendem Mantel.

Nur auf den ersten Blick erscheinen diese Anverwandlungen wie eine Desavouierung des Originals, ja eine Torpedierung von Autorschaft. Die kopierten Künstler selbst wussten es besser. Warhol, Johns oder Paul McCarthy gaben ihr bereitwillig Arbeitsmaterial. Denn im Moment seiner Aushöhlung zollt die Künstlerin dem traditionellen Werkbegriff ihren größten Tribut. Fast möchte man sich wünschen, einen Yves Klein von Elaine Sturtevant in der großartigen Ausstellung zu entdecken, eine Reanimation seiner in der Schirn so ausgehaucht erscheinenden Seele.

Schirn Kunsthalle, bis 9. Januar; Katalog (Hatje Cantz) 29,80 Euro. Museum für Moderne Kunst, bis 30. Januar. Katalog (Hatje Cantz) 25 Euro.

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