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Kultur: Oh, könnte ich das Ganze nur umfassen!

Geschrieben, um vorgelesen zu werden: der Koran, neu übersetzt von Hartmut Bobzin

Für Muslime ist er von unnachahmlicher Schönheit, für die auf Übersetzungen angewiesenen westlichen Leser blieb er durch die Jahrhunderte ein verschlossenes Buch. Der Koran, die Sammlung der im 7. Jahrhundert vom Propheten Muhammad empfangenen Offenbarungen, wurde im Westen nicht bloß als theologische Irrlehre abgelehnt, er wurde auch aus ästhetischen Gründen verworfen.

Goethes zwischen Anerkennung und Ablehnung schwankendes Urteil aus den „Noten und Abhandlungen zu besserem Verständnis des West-östlichen Divans“ (1819) gehört noch zu den positiveren Zeugnissen hiesiger Koranrezeption: „Nähere Bestimmung des Gebotenen und Verbotenen, fabelhafte Geschichten jüdischer und christlicher Religion, Amplifikationen aller Art, grenzenlose Tautologien und Wiederholungen“ fand er im heiligen Buch der Muslime, das ihn letztlich „immer von neuem anwidert, dann aber anzieht, in Erstaunen setzt und am Ende Verehrung abnötigt.“

Die zeitgenössische Wissenschaft kam zu ähnlichen Ergebnissen. Theodor Nöldeke, der mit seiner „Geschichte des Qorâns“ 1860 das Standardwerk einer ganzen Epoche vorlegte, bezeichnete die koranische Sprache als „gedehnt, matt und prosaisch“ und beklagte, die Offenbarungen seien „oft geradezu langweilig“. Sein Kollege Friedrich Schwally bemäkelte gar die „schauerliche Öde weiter Strecken des heiligen Buches“.

Es ist vor allem die Verkennung des koranischen Rezitationscharakters, die zu solchen Urteilen führt. Der Koran – das arabische Wort bedeutet so viel wie „Lesung“ oder „Vortrag“ – ist nicht zur Lektüre im stillen Kämmerlein gedacht, sondern hat liturgischen Charakter. Erst als rezitierter Text ist er bei sich. Das gedruckte Buch, so der gerade verstorbene ägyptische Literaturwissenschaftler Nasr Hamid Abu Zaid, verhalte sich zum Koran wie eine Partitur zur Musik. Schlägt man eine der heute auf dem Markt befindlichen deutschen Übersetzungen auf, wird man bald den Urteilen früherer Zeiten beipflichten: öde, unverständlich und unlesbar. Rudi Paret, dessen 1966 erschienene Übersetzung bis heute die akademisch maßgebliche ist, arbeitet exzessiv mit Klammern, Zusätzen und Erläuterungen, so dass jeder Sinn für Melodik und Rhythmik verloren geht. Er bedient sich zudem einer derart bräsigen Sprache, dass man seine Übersetzung aller Gelehrsamkeit zum Trotz als falsch bezeichnen muss.

Das andere Extrem stellt die Teilübersetzung von Friedrich Rückert (1788– 1866) dar, der bislang einzige Versuch einer Nachdichtung, dessen sprachliche Schönheit mit erheblichen begrifflichen und inhaltlichen Ungenauigkeiten erkauft wird. Zwischen diesen Polen tummeln sich eine ganze Reihe Versuche, denen gemein ist, dass sie vom literarischen Wert des Originals wenig übrig lassen.

Nun hat Hartmut Bobzin, Professor für Islamwissenschaft und Semitische Philologie in Erlangen, das ehrgeizige Unterfangen einer kompletten Neuübersetzung des arabischen Textes in Angriff genommen. Das Vorhaben, die Vorteile von Paret und Rückert miteinander zu verbinden und zugleich beider Unzulänglichkeiten zu vermeiden, kommt einer Quadratur des Kreises gleich.

Das Ergebnis kann sich sehen lassen und macht doch nicht ganz glücklich. Bobzin, dem es, wie er im Nachwort versichert, „darauf ankam, neben wichtigen Inhalten auch etwas von der Sprachform zu vermitteln“, gerät immer wieder in die Fahrwasser von an der Luther-Bibel orientierter sprachlicher Altertümelei: „Gott wird an ihnen Wohlgefallen haben und sie an ihm. Das ist für den, der Furcht vor seinem Herrn empfindet“ (98,8).

Die Reimprosa des Originals wird nur gelegentlich nachempfunden, der Ton ist eher feierlich als modern. Auf erläuternde Einschübe verzichtet Bobzin und übersetzt zumeist erfrischend knapp. Er lässt dem Text damit den nötigen Resonanzraum und folgt der schon 1841 von dem Leipziger Orientalisten Heinrich Leberecht Fleischer formulierten Maßgabe, nach der „die gesuchte Kürze, Schroffheit, Abgerissenheit, das Verschwommene, Vieldeutige, Dunkle, Ahnungsvolle des Ausdrucks“ zum Charakter der Offenbarungen gehöre, „dessen ein Übersetzer sie nicht entkleiden soll“.

Hartmut Bobzin hat mit seiner philologisch grundsoliden Übersetzung viel richtig gemacht. Sie ist um Längen besser als die von Paret und ungleich genauer als die von Rückert. Am Ende aber haben wir es doch wieder nur mit einem deutschen Text zu tun, der bestenfalls einen blassen Schimmer von der Magie des Originals vermittelt. Der Rezensent des ersten direkt aus dem Arabischen ins Deutsche übersetzten Korans äußerte 1772 in den „Frankfurter Gelehrten Anzeigen“ den Wunsch, „dass einmal eine andere unter morgenländischem Himmel von einem Deutschen verfertigt würde, der mit allem Dichter- und Prophetengefühl in seinem Zelte den Koran läse, und Ahnungsgeist genug hätte, das Ganze zu umfassen“. Es war der junge Goethe, der dies hoffte. Bis es so weit ist, kann man guten Gewissens zu Bobzin greifen.









Der Koran.

Aus dem Arabischen neu übertragen von Hartmut Bobzin.

Beck, München 2010. 830 Seiten, 38 €.

Andreas Pflitsch

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