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Kultur: Ohne Hand und Fuß

Der Zeichner Phil Hubbe hat Multiple Sklerose und publiziert „behinderte Cartoons“

Ein Mann hängt an einem Baum, aufgeknüpft an einem Seil. Er hat weder Arme noch Beine, das ist dem Kommissar sofort aufgefallen, auch der Rollstuhl in der Ecke. „So einiges spricht gegen Selbstmord“, folgert der Kommissar. „Stimmt“, pflichtet ihm ein Kollege bei, „es fehlt ein Abschiedsbrief“. Ein Mann sitzt in einem Café in Berlin-Mitte, Ende 30, spitzes Gesicht, kleine Brille, hohe Stirn. Man sieht ihm nicht an, dass er an Multiple Sklerose leidet. Dass sein Bauch völlig vernarbt ist, weil er sich jeden zweiten Tag ein Medikament unter die Haut spritzt. Er versucht diese Krankheit zu stoppen, die mit einem Kribbeln in den Beinen begann und dazu führt, dass er nicht mehr laufen kann, wenn ihn ein neuer Schub erwischt. Er hat Angst davor, eines Tages im Rollstuhl zu enden, nur eine Sache fürchtet er noch mehr: dass er nicht mehr zeichnen kann. Cartoons wie die von dem Mann ohne Arme und Beine.

Der Mann mit dem Galgenhumor heißt Phil Hubbe. Als erster deutscher Zeichner hat er ein Buch mit „behinderten Cartoons“ veröffentlicht, so steht es im Untertitel. , unter einem Titel, der auf Anhiebmehr nach den krachledernen Witzen der Markeeines Bully Herbig klingt als nach schwarzhumorigen Bildern von Rollstuhlfahrern, die davon träumen, auf dem Golfplatz ihr Handicap zu verbessernDer Titel lautet: „Der Stuhl des Manitou“, ein Wortspiel. Denn Manitou, auch genannt „Großer-Häuptling-der- seine-Mokassins-schont“, ist an einen Rollstuhl gefesselt. Dieser Manitou soll Menschen zum Lachen bringen, über die man bislang keine Witze machen durfte. Und er soll für deren Probleme sensibilisieren. Und doch ist Hubbe nicht besonders glücklich darüber, dass der Verlag ausgerechnet den gelähmten Gott der Indianer auf den Titel gehoben hat. Er will er dieses Motiv nicht als Markenzeichen.

Dabei befindet sich hier der Schlüssel zu seiner Geschichte, die 1985 mit einer Sehnerventzündung beginnt. Hubbe bekommt Cortison, die Symptome verschwinden. Von Multiple Sklerose (MS) hat er bis dahin noch nie etwas gehört, sein Arzt vermutlich auch nicht. Drei Jahre später, der Junge aus einem Dorf in Sachsen-Anhalt schleppt Rohlinge in einem Keramikwerk, um Geld für sein Mathestudium zu verdienen, kann er den Fuß nicht mehr richtig heben. Diesmal wird die Ursache entdeckt. Der Verlauf der Krankheit sei nicht vorhersehbar, sagt der Arzt. Vielleicht behalte er eine kleine Behinderung zurück. Vielleicht zwinge ihn die Krankheit in den Rollstuhl. Seinen Traum vom Zeichnen solle er vergessen. Der Arzt sagt: „Ein leichtes Zittern reicht – und Sie können den Stift nicht mehr halten.“Schon als kleiner Junge hat er die Abenteuer der Abrafaxe verschlungen, in der Schule Männekieken aufs Löschpapier gekritzelt. Jetzt soll er den Traum von der Zeichnerei begraben, bevor er ihn sich zu Ende ausgemalt hat?Der Enkel eines Malers aber denkt nicht daran, die Kunst aufzugeben. Er hängt sein Studium an den Nagel und schlägt sich als freier Zeichner durch. Sich zu verkaufen, das liegt ihm nicht. Man kann ihn kaum verstehen, so leise spricht er. Doch sein Talent spricht sich herum. Für Werbeagenturen gestaltet er Broschüren, Tageszeitungen drucken seine politischen Cartoons. Irgendwann ruft der „Kicker“ an, das größte deutsche Fußballmagazin. Phil Hubbe hat es geschafft. Einerseits.

Andererseits macht ihn seine Krankheit immer einsamer. Die Schübe kommen zwar inzwischen selteneroder nicht, doch die Angst vor dem Rollstuhl bleibt. In Magdeburg schließt sich Hubbe einer Selbsthilfegruppe an. Und irgendwann fällt ihm ein Comic des amerikanischen Zeichners John Callahan in die Hände. Der Mann ist seit einem Unfall querschnittsgelähmt, er greift zum Stift, um Tagebuch zu führen. Callahans Cartoons sind bitterböse, doch die Menschen aus der Selbsthilfegruppe können darüber lachen. Sie sagen: „Was der kann, das kannst du auch.“ Hubbe fängt an zu zeichnen. Es sind Momentaufnahmen aus dem Alltag seiner behinderten Freunde, überzeichnet. Sie zeigen sie in verfänglichen Situationen. In einigen knubbelnasigen Männchen erkennt man Hubbe selber wieder. Da sucht ein Mann ohne Gliedmaßen einen Verlag für seine Geschichte, und der Lektor sagt: „Tut mir Leid, Ihre Geschichte hat weder Hand noch Fuß.“

Er hat das selber erlebt. Oft haben Zeitungen seine Cartoons mit der Begründung abgelehnt, so etwas könne man nicht drucken. Dass so mancher über seine Witze nicht lachen kann, versteht er sogar. Als er 1988 begriff, was die Diagnose bedeutete, hätte man ihm solche Zeichnungen auch nicht zeigen dürfen. Die Schmerzgrenze für Humor hänge eben vom Grad einer Behinderung ab. Kritik, sagt Hubbe, komme jedoch in der Regel von Lesern ohne Handicap. Das ärgert ihn. Über Behinderte zu lachen, bedeute, sie wie normale Menschen zu behandeln. Vielen Behinderten spricht er aus der Seele. Im Gästebuch seiner Homepage häufen sich Komplimente.

Keine Frage, mit seinem Buch ist Phil Hubbe in eine Marktlücke gestoßen. Lappan-Verleger Dieter Schwalm versucht das nicht zu beschönigen und sagt, er hätte das Buch sogar veröffentlicht, wenn der Autor kein Handicap gehabt hätte. „Wenn es Cartoons für Schwangere gibt, warum nicht auch für Behinderte?“ Die Zielgruppe ist größer, in Deutschland schätzungsweise acht Millionen Menschen. Einer von ihnen ist Phil Hubbe. Irgendwann will er seine Lebensgeschichte als Comic veröffentlichen. Vielleicht werden seine Freunde aus der Fußballmannschaft dann auch erfahren, warum er den Kontakt zu ihnen abgebrochen hat und er sie bis heute nicht auf der Zuschauerbank anfeuert. Der Zeichner sagt: „Ich bin noch nicht so weit.“

„Der Stuhl des Manitou“, Lappan Verlag, Oldenburg 2004, 48 Seiten, 9,95 Euro.

Antje Hildebrandt

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