zum Hauptinhalt

Oper: Das gemordete Glück

Triumph für Hans Neuenfels: In Basel haucht er Othmar Schoecks "Penthesilea"-Oper großen, ruhigen Schicksalsatem ein.

Für etliche Regisseure dürfte Othmar Schoecks „Penthesilea“ die Erfüllung ihrer Sehnsüchte bedeuten: endlich mal eine Oper, in der die Musik nicht dauernd dazwischenfunkt und alle Aufmerksamkeit für sich beansprucht! Noch dazu ein Stück, dessen Text zum Feinsten gehört, was je für die Opernbühne vertont wurde.

Kleist pur, vom Komponisten selbst auf knackige neunzig Minuten verthalheimert! Lediglich illustrieren wollen habe er Kleists Amazonendrama, erklärte der Schweizer Komponist über sein 1927 in Dresden uraufgeführtes Bühnenwerk, was zwar angesichts der Verständlichkeit des teilweise sogar gesprochenen Textes stimmen mag, aber maßlos untertrieben ist. Denn erstens sitzt da ein enormes Orchester im Graben, das – mit wenig Geigen, aber acht Klarinetten und einer ganzen Schlagwerk-Batterie – das Geschehen auf einen Klangsockel von archaischer Wucht hebt. Und es ist eben doch etwas anderes, ob ein Text reflektierend gesprochen wird oder innerste Sehnsüchte sich im Gesang artikulieren, die Menschen mit sich fortreißen und dem Geschehen etwas Unausweichliches verleihen.

Ein Traum ist diese „Penthesilea“ also vor allem für die Regie-Grenzgänger zwischen Oper und Schauspiel. Für Hans Neuenfels, den belesensten, im positiven Sinne Bildungsbürgerlichsten von allen, ist sie nachgerade maßgeschneidert. Das Theater Basel, unter seinem neuen Intendanten Georges Delnon wieder erstarkend, hat den Altmeister zur Kleistoper verlockt und ihm handverlesene Kräfte zur Seite gestellt: den Schweizer Dirigenten Mario Venzago, der die Musik bis in die letzte Sechzehntelnote hinein kennt und dem Basler Sinfonieorchester betörend sinnliche Klänge zwischen Strauss, Berg und Janacek entlockt. Und er haucht ihr jenen großen, ruhigen Schicksalsatem ein, der die Liebe zwischen Achill und Penthesilea zum Gleichnis all jener meist im Verborgenen zwischen Mann und Frau wirkenden Energien macht.

Die großartigen Sänger formieren sich dabei zum Ensemble, das sich fortreißen lässt von der vereinten Wirkungsmacht von Sprache und Musik und vom heiligen, unendlich verletzlichen Ernst, den Tanja Ariane Baumgartners Amazonenkönigin ausstrahlt. Diese Penthesilea ist keine Heroine, die mit orgelnden Tiefen und geschmetterten Höhen auftrumpft, sondern ein zartgliedriges Mädchen, das die übergroße Last früher Verantwortung nur unter Konzentration all seiner Kräfte schultern kann. Ihr lyrischer Mezzosopran legt das Hilflose in all der wortlosen Unmittelbarkeit offen, derer nur die Oper fähig ist.

Immer wieder setzt Penthesilea aus ihrer immensen inneren Begeisterungsfähigkeit zu leuchtenden Höhenflügen an, aber eben ohne festen Grund und im tiefen Register gestandener Lebenserfahrung nur zarte Wurzeln austreibend. Als ihr mit Achill (Thomas Johannes Mayer) ein Mann gegenübertritt, dessen Bariton sie förmlich zu umarmen, ja mit wärmendem Timbre zu streicheln scheint, wird die Königin mit einem Mal von der Ahnung eines ganz anderen Lebens erfasst. All das wird einem hier auf ganz selbstverständliche Art klar, ohne dass es weiterer Erklärungen seitens der Regie bedurft hätte.

Regietheater im provokanten Wortsinn ist diese Inszenierung ohnehin nicht. Wohl aber eines, das Eingriffe vornimmt, um den Kern des Werks freizulegen. Manchen gesprochenen Text hat Neuenfels einer Schauspielerin anvertraut, die zwischen den Amazonen und der Außenwelt vermittelt (mit unpathetischer Dringlichkeit: Oda Pretzschner). Und wenn der emotionale Schaukampf zwischen Achill und Penthesilea kulminiert, greifen die beiden schon mal zum Mikro, um die Gewalt der Klänge in ihrem Innern zu übertönen. Schauplatz ist ein klassizistischer Raum, der an die Aula eines Lyzeums erinnert (Bühne: Gisbert Jäkel), hier präsentieren sich die Mädchen in Uniform (Kostüme: Elena Schnizler) in martialischer Phalanx. In diese hermetische Welt dringen die anarchisch brüllenden Männer in Cowboy-, Piraten- und Ritterkostümen als ruhestörende Feinde ein.

Die Verlagerung des antiken Schlachtgewimmels in die gymnasiale Pubertät schärft den Blick für die Hemmungslosigkeit, mit der hier der Geschlechterkampf ausgetragen wird. Ein Hintergrund, vor dem Penthesileas Geschichte zu der eines Erwachsenwerdens wird. Parallelen zu Kleists eigenem Schicksal ergeben sich ohne aufdringliche Fingerzeige: Die Erziehung durch eine lebensfeindliche Gesellschaft verblendet den Menschen so, dass er die Chance auf ein besseres Leben nicht mehr wahrnehmen kann. Am Ende steht bei Kleist wie bei seiner Amazonenkönigin die bittere Erkenntnis, dass das Leben in seiner animalischen Grausamkeit keinen Platz für sie hat.

Jörg Königsdorf

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false