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Kultur: Optimistisches Drama

Folkloristisch: Das New York Harlem Theatre mit „Porgy and Bess“ an der Komischen Oper Berlin

Wer bei George Gershwins „Porgy and Bess“ eine überraschend neue, ambitionierte Regie erwartet, sitzt wahrscheinlich im falschen Stück. An der Komischen Oper, wo zur Zeit das New York Harlem Theatre gastiert, beginnt es schon mit der Plane, die sich quer über die Bühne spannt. Sie zeigt Catfish Row genau so, wie man sie sich vorstellt: als malerische Fischerstraße im vorindustriellen Charleston des 19. Jahrhunderts. Als dann die Plane nach oben geht, sieht man: genau jene Straße, mit zweistöckigen Südstaatenhäusern und Fischerbooten im Fluchtpunkt der Zentralperspektive. Irgendwie erwartbar. Die Männer tragen Westen, karierte Hemden und Schiebermützen, die Frauen Röcke und busenbetonte Blusen, und alle wuseln ständig auf der Straße und auf den Galerien umher, wie es sich eben gehört. Was sowieso offensichtlich ist, wird noch einmal mit breitem Filzstift markiert, damit es auch wirklich jeder versteht. Als sich alle Türen vor Bess verschließen und einzig Porgy ihr Unterschlupf gewährt, fällt ein heller Lichtstrahl aus seiner Wohnung auf sie. Der rassistische, weiße Detektiv spricht breiten Südstaatenakzent und ist auch noch in einen weißen Anzug gewandet. Und während des Sturms im zweiten Akt zucken natürlich Blitze über die Bühne. Genau so wird „Porgy and Bess“ wahrscheinlich noch in hundert Jahren inszeniert werden.

Doch der Abend wird trotz dieser Klischeeparade ein Erfolg, und das liegt an den Darstellern. Zunächst irritiert, dass Terry Lee Cook als Krüppel Porgy seinen Bassbariton nicht offensiv nach außen richtet, sondern wie mit einem Vorhang zu verhüllen scheint. Aber nach einer kurzen Phase der Gewöhnung wird schnell deutlich, dass seine Stimme das Fundament der Aufführung bildet. Dass er nur ein „halber Mann“ ist – stundenlang rollt er auf einem Brett hin und her – gleicht er mit lebhaftem Mienen- und Körperspiel mehr als aus. Während seines „I Got Plenty o’ Nuttin’“, ein Lob auf das Nichthaben, sieht man wirklich einen glücklichen Menschen, und als Bess ihm offenbart, dass sie zu ihrem früheren Liebhaber Crown zurückkehrt, krümmt sich sein Körper in konvulsivischen Zuckungen. Diese Bess spielt Morenike Fadayomi mit breitem Lächeln, kräftigem Sopran, langen schwarzen Haaren und lasziven blau umschatteten Schlangenaugen. Im entscheidenden Moment, als die Liebe zwischen ihr und Porgy aufflammt, kniet auch sie sich nieder. Ihre hohe und seine dunkle Stimme verschmelzen zu einem denkwürdigen Duett.

Ob eine Aufführung wirklich gut wird, entscheidet sich aber auch in den Nebenfiguren. Chauncey Packer singt den verschlagenen Drogenhändler Sportin’ Life mit am Ende immer wieder überraschend hellen Höhen, dazu wippt sein massiger Körper fies im Rhythmus. Marjorie Wharton ist eine schwer an Alter und Kilogramm tragende Maria mit enormem Charisma, allerdings übertreibt sie ihre Figurenzeichnung etwas mit rasselnder Stimme. Michael Redding ist als Crown genauso sexy, wie man das von Bess’ früherem Liebhaber erwarten würde. Stählern sind sein Bariton und sein Oberkörper.

Auch das vom William Barkhymer geleitete Orchester und der Chor haben eine Vorliebe für harte, laute Klänge, besonders die Bläser knallen oft heraus. Trotzdem wäre es Unsinn zu sagen, die Musiker hätten kein Gefühl für Jazz, nur weil sie größtenteils aus Rumänien stammen. Barkhymer, der mit dieser Produktion durch Deutschland tourt, hat das Stück schon so oft dirigiert, dass es ihm wohl in jede Faser seines Körpers übergegangen ist. Er versteht es, alle Dimensionen zum Klingen zu bringen, also nicht nur – was Gershwin zum Vorwurf gemacht wurde – Rassendiskriminierung, Drogen und Gewalt, sondern auch Religiosität, Optimismus und Lebensfreude. Wobei ihm durchaus bewusst sein dürfte, dass man in Europa bei „Porgy and Bess“ vor allem mit diesen folkloristischen Elementen punkten kann. Udo Badelt

Wieder: 29. und 30. 7., 20 Uhr; 31. 7., 15 und 20 Uhr; 1. 8., 14 und 19 Uhr.

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